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Hartland

Hartland

Titel: Hartland
Autoren: Wolfgang Buescher
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Manhattan hatte ziemlich düstere Strophen hinzugefügt.
    Ein paar Tage zuvor hatte ich am Red River gestanden, der Grenze zu Texas. Ungezähmt war der Fluß und rot von der roten Erde, durch die er brach, eine Brücke führte vom nördlichen zu seinem südlichen Hochufer. Die ersten texanischen Ortsnamen auf meiner Karte waren wenig mehr als Ortsschilder, das Land war eine einzige, gewaltige Viehweide, darauf grasten schwarze, braune, weiße Rinder, Pferde, Maulesel. Alles war größer und reicher als bisher, die Häuser, die Ranches, die Entfernungen. In einem Saloon in St.   Jo hörte ich jemanden sagen, einen älteren Cowboy: «Wir waren Cowboys ein Leben lang, so war es eben, so sind wir aufgewachsen. Und wenn sie über uns sagen: Kaum ausbezahlt, schon wieder pleite – na und? Wir tun es nicht fürs Geld, ganz sicher nicht, wir tun’s   …» – und hier stockt meine Übersetzung, denn der Mann fuhr fort: «…
for the glory
.» Wie soll man das in eine Sprache übertragen,die kein Wort dafür hat, keines, dem ein Gefühl dafür entspräche, was das Wort sagen will?
    Wie ausgetrocknet der Geist des Jungen war, wie es ihn dürstete. Das Mondflußlied durchflutete ihn, Gegenden des Bewußtseins, die er selbst kaum kannte. Er schloß die Augen, Wörter galoppierten heran. Appaloosa. Appalachen. Apache Code. Andere Wörter näherten sich knisternd, flüsternd – «a hiss», wie Ron das Rauschen des Präriegrases im Sommerwind genannt hatte. Mississippi. Missis. Miss you. Dazu spielte Musik. Kennedy, das weiße Siegerlachen, der weiße Held des Gelingens. Wo er auftauchte, vertrieb er die Düsternis und gab den Blick frei auf den hellen neuen Tag. Amerika, hellichtes Land, bewohnt von hellichten, gut ausgeleuchteten Seelen, bereit, den Tag zu pflücken – was kostet die Welt?
    Warum Amerika? Die andere Himmelsrichtung schied aus – es war die Richtung, in der die Männer verschwunden waren. Der Osten lag auf der Seele, bange Ahnung, Verlust. Verriegelt, verrammelt, er sendete nichts – nur schwache Signale von Düsternis und Untergang. Es gab Relikte, eine Schublade, einen Karton, eine Vitrine in jeder Familie, unscharfe Fotos mit Zackenrand. Erbstücke, die niemand wollte. Die Vase mit den aufgemalten Türmen und dem Namen einer tief östlichen Stadt. Ließe man sie fallen, endlich auch sie, dann wäre sie tot, die Vase und die ganze düstere, alte Sache, dann fiele die Tür ins Schloß. Warum Amerika? Sie hatten die Lieder.
    Die Bemerkung meines Vaters fiel mir ein: «Zu Fuß wäre ich damals nach Amerika gegangen.» Sein Damalswar die Zeit nach dem Krieg. Ein junger Mann von achtzehn, zwanzig Jahren und der Wunsch, raus hier, raus aus dem Schlamassel, dahin, wo alles leicht ist und jung, wo die Sieger wohnen. Damals ist Amerika so geworden. Erst sein Sieg hatte die Schatten von ihm genommen, die Große Depression in den Städten, die Große Dürre in der Prärie und die Verzweiflung der kleinen Farmer, die Armutswanderungen verachteter Okies nach Kalifornien. Erst nach dem Krieg nahm Amerika die Aura ewiger Jugend an, Auftreten und Sprache des geborenen Siegers.
    Ein Kennedy mußte kommen, Amerika war bereit für einen Helden, der vor allem eines war: herrlich jung wie der Sieg. Und die Welt war ebenfalls bereit, sie wollte bezaubert werden. Und er bezauberte sie. Stupor mundi. Himmelhoch zielende Präsidentenreden und Mondmissionen, Saturnraketen, Straßenkreuzer, Flugzeugträger, Konfettigewitter – unnachahmlicher Blend von Erwähltheit und Jugend, von hohem Ton und Kaugummi. Amerika rief, wir können alles, und die Welt glaubte es. Sie wollte es glauben. Die spätere Empörung über Amerika war nicht zu verstehen ohne diese Sehnsucht.
    Jahrzehnte darauf wartete ich auf dem John-F.-Kennedy-Flughafen im winterlichen New York auf ein überfälliges Flugzeug. Seit vielen Stunden warteten wir, es war Nacht geworden darüber. Gegen Mittag hatte es begonnen zu schneien, die startenden Flugzeuge mußten enteist werden, aber das erklärte nicht das lange Warten, handelte es sich doch um ganz gewöhnlichen Schneefall, nicht um eine Naturkatastrophe. Ich standam Fenster der Wartehalle und schaute aufs Flugfeld hinaus, hoffend, jede neue Maschine, die vorüberrollte, möge unsere sein, und wurde jedesmal enttäuscht.
    Neben mich trat ein Herr im Gehrock, mit Stock und Knauf und Ring, unverkennbar ein deutscher Künstler, ein Wartender auch er, und es zeigte sich, daß er seinem malerfürstlichen Gepräge zum
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