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Hartland

Hartland

Titel: Hartland
Autoren: Wolfgang Buescher
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Landmensch oder ein Städter?» fragte Jason.
    «Ich komme vom Land und bin in die Stadt gegangen.»
    «Bei mir ist es umgekehrt, von der Stadt aufs Land.» Und nach einer Pause: «Meine Kinder und meine Frau haben mich gerettet. Jemanden zu haben, der dich liebt. Glaubst du an Jesus Christus?»
    Wir fuhren an einem Trucker-Parkplatz vorüber, er zeigte hin.
    «Da – die warten auf ihre
fags
. Weißt du, was
fags
sind?»
    «Nein.»
    «Das ist ein Parkplatz von schwulen Truckern. Die bestellen sich telefonisch ihre
fags
dahin, ihre Typen, verstehst du’s jetzt?» Er schaltete einen Gang herunter, der Wagen rollte langsamer, ein Motel kam in Sicht. «Ich setz dich da ab, muß jetzt wenden, ich muß nach Hause.»
    «Danke, Jason.»
    «Dank mir nicht. Du bist meine gute Tat dieses Jahr.»
    Der Schuß
    Lange bevor ich Amerika betrat, war ich dort gewesen, an einem Fiebertag 1963.   Um das fiebernde Kind zu schonen und weil man ohnehin fand, es steigere sich zu sehr in solche Dinge hinein, war ihm die Nachricht vorenthalten worden, aber der Junge hörte das Geflüster im Haus, etwas stimmte nicht. Er wartete, bis alles zu Bett gegangen war, wartete die volle Stunde ab und schlich die Treppe hinunter zum Radio. Es war gleich die erste Meldung – das also war geschehen: Kennedy tot, erschossen in Dallas, in einer offenen Limousine.
    Dort stand ich jetzt, am Fenster im sechsten Stock des «Texas School Book Depository» in Dallas, jenem Fenster, hinter dem Lee Harvey Oswald – so heißt es – gewartet, gezielt und abgedrückt hatte, als die Continental-Limousine, ein Geheimdienstmann am Steuer, das Ehepaar Kennedy auf dem Rücksitz, unten durch die Elm Street fuhr. In der kleinen Ausstellung über das Attentat wurden Filme, Fotos und Zeitungsseiten von damals gezeigt, vors Fenster hatte man Kisten gestapelt, damit die Besucher sich ein Lagerhaus vorstellen konnten, in dem in den frühen sechziger Jahren Schulbücher vorrätig gehalten wurden, die Phantasie griff es dankbar auf. Ich sah Oswald sich seinen Weg durch die Kisten zum Fenster bahnen, sich dahinter verschanzen, das Gewehr anlegen. Jemand führte Leute herum, gerade referierte er die wichtigsten Verschwörungstheorien,es waren um die zehn, alles war dabei. Mafia Süd, Mafia Nord, Geheimdienste, und alles, was feststand, bald fünfzig Jahre nach dem Präsidentenmord, war: Kennedy wurde an jenem Tag in Dallas erschossen. Der Rest – unklar.
    In jener Nacht blieb der Junge am Radio hängen. Sie spielten getragene Musik und irgendwann ein Lied, das anders war. Als er die ersten Zeilen hörte, gesungen von einer Stimme, der er bereit war zu folgen, egal wohin, da wurde ihm leichter ums Herz, schwer und leicht zugleich und doch mehr leicht als schwer. Der Junge sog jeden Ton, jedes Wort auf und fürchtete sich vor dem Moment, wenn das Lied verklingen würde. Kennedy war tot. Kennedy, von dem er so gut wie nichts wußte, nur daß er ein Held war, ein strahlend weißes Lachen, ein König, anders als die anderen. So, wie das Lied anders war, das zur Mitternacht im Radio lief. Kennedy war tot, aber das Lied lebte. Er verstand nicht viel, nur Wortfetzen, aber die Stimme ließ ihn ahnen, was er noch nicht verstand. «Two drifters, off to see the world.» «Two drifters» auf dem Rücksitz der Limousine in der Elm Street da unten. Einer war nun vorausgegangen, der andere würde nachkommen, eines Tages würden sie sich treffen – am «Moon River», auf einer mondbeschienenen Lichtung an der Biegung des Flusses. «Waiting ’round the bend, my huckleberry friend.»
    So nahm das Mondflußlied den Jungen bei der Hand und tröstete ihn, tröstete die ganze Welt, so war ihm zumute, als ob die ganze Welt das Lied hörte in jener Nacht. Gewöhnliche Lieder erzählten von etwas, das geschehen war, dieses flüsterte von dem, was geschehenwürde, wenn die Sterne günstig stünden und wir das Versprechen hielten. Daran mußte ich denken, als ich an Oswalds Fenster stand und hinab auf die Elm Street schaute. Das war es, ein Lied. Amerika war ein Lied, an der Biegung des Flusses wartete die nächste Strophe. Es gibt besungene Länder und unbesungene, erzählte und unerzählte. Amerika ist ein Drittes – das sich selbst besingende, forterzählende Land. Bräche die amerikanische Erzählung ab, bräche Amerika ab. Andere Länder exportieren Öl, Amerika exportiert sein Lied, es heißt «Amerikanischer Traum». Aber ist darauf noch Verlaß, oder versiegen die Quellen? Der Friseur von
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