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Hartland

Hartland

Titel: Hartland
Autoren: Wolfgang Buescher
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wirklich ein Kind hatte rufen hören. Sie rauchte und schwieg. Versuch es einfach, sagte ich mir.
    «Geht es dem Jungen besser?» Nicht zu ihr gewandt sagte ich es, sondern in den Garten hinein.
    Sie erwachte aus der kleinen Trance und drückte die Zigarette aus. Der spöttische Ausdruck erschien wieder auf ihrem Gesicht. «Ob es ihm gutgeht? Hören Sie, ich habe fünf Kinder geboren und großgezogen, ich habe dreizehn Enkel. It’s not my first rodeo!» Weg war sie.
    Der Abend kam, in den Herrenhäusern an der West Main Street gingen die Lichter an. Nicht illuminiert wie zu einem Empfang waren sie, meist leuchtete ein einziges Licht zwischen den hohen Säulen und Bäumen hervor, als leuchte es jemandem heim. Als warte man auf einen, der, wer weiß, doch noch kommt, und sei es nach hundert Jahren.
    Flucht aus Dallas
    Von Waxahachie ging ich nach Italy, von dort nach Milford und von Milford hinunter nach Hillsboro. Was sah ich? Texas, ein blühendes, grünes Hügelland. Eine Wellblechhalle an der Straße, von fern eine Fabrik, von nahem die «Frontier Cowboy Church»
.
Und an einen zweiten Sheriff geriet ich, außer der Pistole trug er eine Menge Sheriffwerkzeug am Gürtel, doch auch er war kein Unmensch und nahm mich, nach der unvermeidlichen Spreizprozedur an seinem Wagen, ein paar Meilen weit mit.
    In Italy zeigte man ein Foto von Bill Clinton mit einer dunkelhaarigen Praktikantin, die von dort stammte, es hing im Café. In Milford verkaufte man mir eine Flasche Wasser. Ein paar Meilen weiter plötzlich ein vielfüßiges Traben – Rinder rannten auf mich zu. Ich zählte sie – sechzehn. Wenige Meter von mir blieben sie wie auf Kommando stehen, in einer Front, sahen mich reglos an. Dann, auf ein neues Zeichen hin, das nur sie hörten oder sahen, rannten sie in ihre Weide hinein. Dann wieder ein jäher Halt. Kehrt marsch! Vierundsechzig Hufe trommelten auf mich zu, ein Kavallerieangriff ohne Reiter. Knapp vor dem Ziel wieder das unhörbare, unsichtbare Kommando: Stillgestanden! Da hielt ein Auto, ich stieg ein.
    Am Steuer saß eine sittsam gekleidete, schmale, etwas nervös wirkende Schwarze von ungefähr vierzig Jahren.Etwas war los mit ihr, aber was? Ich erfuhr es bald, sie konnte es nicht für sich behalten. «Hab ich Sie nicht schon vor Stunden auf der Straße gesehen», begann sie, «sind Sie derselbe?»
    «Immer derselbe. Außer mir läuft hier keiner die Straße entlang.»
    «Woher kommen Sie?»
    Ich sagte es ihr.
    «Habt ihr gute Kirchen dort?»
    «Gute Kirchen – ich denke schon.»
    «Das Ende der Zeit ist nahe.»
    «Meinen Sie?»
    «Ja, wir leben in der Endzeit.»
    «Warum?»
    «Vulkanausbrüche, Naturkatastrophen – wissen Sie, was ‹rapture› ist? Nein? Dann müssen Sie in unsere Kirche kommen.»
    Ich versprach es, und sie beschrieb mir, wo die Kirche ungefähr lag, weitab von jedem bewohnten Ort. «Es ist schwer zu finden, ich hol Sie morgen abend ab.»
    Ich mochte nicht einen ganzen Tag auf sie warten, ich wollte weitergehen. «Am späten Nachmittag bin ich in ‹Carl’s Corner›, das müßte halbwegs die Gegend Ihrer Kirche sein.»
    Bevor sie mich bei einem Motel an der Autobahn absetzte, wühlte sie in ihrer Handtasche, fand einen Kontoauszug, darauf schrieb sie ihre Telefonnummer und gab ihn mir. Darunter stand «Sister Alice».
    Im Motel bat ich um ein paar Minuten am Computer, suchte nach der Bedeutung von
rapture
und fand: die Begeisterung; das Entzücken; die Entzückung; der Freudentaumel;die Verzückung. Und
rapture of the deep
, den Tiefenrausch. Die Nacht war stickig und laut. Die Autobahn schien durch mein Zimmer zu führen, in der Wand rauschte alle paar Minuten die Wasserleitung, die Klimaanlage lärmte. Erst als ich den Stecker zog und das Fenster aufstieß, fand ich etwas Schlaf.
     
    Am Nachmittag des folgenden Tages tauchte aus dem sanften texanischen Hügelland eine Westernkulisse auf, Saloon und Tanzsaal in einem, ein mächtiger Bretterbau – «Carl’s Corner». Alles daran und darin war texanisch, die Männer, die Hüte, die Drinks, die Fahnen mit dem einen, einsamen Stern und die Frauen auch. Eine saß allein an einem der Holztische, in Shorts, vor sich einen Laptop und ein Glas Schnaps, das von Zeit zu Zeit aufgefüllt wurde. Auf der kleinen Bühne probte ein Countrysänger. Ich bat die über und über tätowierte Barfrau um einen Kaffee.
    «Gern, honey, ich koch ihn dir frisch.»
    «Danke. Ist Carl da?»
    «Hab ihn heute noch nicht gesehen.»
    «Willie?»
    «War
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