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Hartland

Hartland

Titel: Hartland
Autoren: Wolfgang Buescher
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letztens hier, war ’n schöner Abend.»
    Mit Fotos von Willie waren die Holzwände gepflastert. Willie mit Freunden. Willie an der Bar. Willie allein mit seiner Gitarre und seinem rückenlangen Zopf auf der Bühne. Sie wurde «Willie’s Corner» genannt, hier trat er gelegentlich auf. Eines späten Abends in irgendeinem Motel war er unerwartet im Fernsehen aufgetaucht. Ein Mann in Hemd und Hosenträgern fragte ihn alles mögliche: «Was halten Sie von Sarah Palin?» – «Ichmag sie sehr, persönlich. Politisch weiß ich nicht so recht.» – «Sind Sie ein Konservativer?» – «Auf manchen Gebieten, ja, da bin ich ein Konservativer», hatte Willie Nelson Larry King geantwortet und sich über seinen Zopf gestrichen.
    So, wie er war, war es auch hier, ganz und gar texanisch, texanischer ging es nicht – übertexanisch. Die Männer, die mit ihren Frauen an den Holztischen beim Bier saßen, waren in Willies Alter. Sie alle, die Hüte, die Fahnen, die Läufe, die der Countrysänger auf seiner Gitarre ab und zu spielte, Lieder über «loose women», «drinks», «outlaws», «lonely nights», das alles in einem richtigen Saal, aus rohen Brettern gefaßt – ein lebender Texastraum. Ein Gesicht im Türspalt riß mich heraus. Sister Alice. Zeit, in die Kirche zu gehen. Ich bat um die Rechnung, die Tätowierte lächelte. «Kaffee ist umsonst bei uns, honey. Komm mal wieder vorbei.»
    Nach kurzer Fahrt bog Alice von der Straße auf eine holprige Piste ab, und irgendwann hielten wir vor einer weißen Kirche mitten im Buschland. Eine kleine Gemeinde sammelte sich drinnen, keine dreißig Personen, alle schwarz. Ein Schlagzeug stand da, eine Elektrogitarre, ein Verstärker, dazu lagen Rassel und Tamburin bereit. Eine Frau begann zu singen, «Jesus, I come to ye!», die anderen fielen ein, dazu rhythmisch klatschend. Sister Alice stieß mich an, es ihnen gleichzutun.
    Endlich erschien der Apostel, ein älterer, schlanker, sakral, dabei aber elegant gekleideter Mann im schwarzen Gehrock. Auf dem Kopf trug er ein schwarzes Suharto-Käppi, auf der Brust ein grünschimmerndes großes Kreuz. Teilnahmslos erst, ohne einen Blick für seine Gemeinde,saß er auf einem Stuhl, in der Hand die Gitarre. Nun standen nacheinander einzelne auf, um ihren Glauben zu bezeugen. «Ich war ein Mädchen von der Straße. Als Gott kam eines Tages, da zog ich mich anständig an, wie eine Lady, o ja, wie eine Lady. Plötzlich war Kleidung da, vorher nie. Letting it all hang out, ihr wißt, was ich meine, so lief ich früher rum.» Sie endete mit einem tiefempfundenen Dank: «Yeah! Thank you, Jesus!»
    Neben mir stand jetzt Sister Alice auf, um mich vorzustellen. Der Apostel hatte kein Auge für sie oder für mich. Versunken wie ein Musiker saß er da und begleitete jede neue Bezeugung mit kleinen Improvisationen auf der Gitarre, und ich meinte zu verstehen, wo ich war. Auf einer Rettungsinsel. Um Rettung ging es allenthalben. Nicht einer hier, den sein Glaube nicht gerettet hatte, in einem sehr handfesten Sinn. Gerettet vor der Straße, den Drogen, den Banden, vor einem Leben im Elend und einer Kugel im Kopf.
    Von Alice wußte ich, daß der Mann, der sich von den Seinen Apostel nennen ließ, Straßenprediger in Dallas gewesen war. An einer Ecke nicht weit von der, an der man Kennedy erschossen hatte, pflegte er viele Jahre lang gegen die Sünde anzupredigen, besonders gegen die schlimmste von allen: die Trägheit des Herzens, die Ignoranz. Er begann nun selbst zu sprechen, beschwörend, dann wieder witzig und locker wie ein Entertainer. Er stellte eine Szene aus seiner Straßenpredigerzeit damals in Dallas nach, holte eine Frau aus der Gemeinde nach vorn und ließ sie jene Frau aus seinem sündigen Vorleben spielen, die den Apostel an seiner Berufung irrezumachen und vom rechten Weg abzubringen versuchthatte – ja, auch er hatte ein Vorleben. Er predigte, wie er damals gepredigt hatte, flüchtete sich in seine Predigt, wich der Frau aus, predigte links und rechts an ihr vorbei. Sie aber stellte sich nahe vor ihn, sprach ihn immer wieder an: «Kennst du mich denn nicht mehr? Ich kenne dich gut – he, komm schon!» Die Frau aus der Gemeinde fand immer besser in ihre Rolle, überzeugend spielte sie die Verführerin. Hier brach er das Spiel ab und war in wenigen Sätzen bei der Offenbarung des Johannes, bei der Endzeit, dem großen Finale.
    Auf der Rückfahrt erzählte mir Alice, warum sie alle aus South Dallas geflohen waren, hierher in die grünen
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