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Hartland

Hartland

Titel: Hartland
Autoren: Wolfgang Buescher
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einmal hier in diesem Zimmer logiert habe, und fand ein freundliches Wort für die Deutschen: «Such a charming people.»
    «Ein rares Kompliment, Madam.»
    «Doch, doch – ein so charmantes Volk!» In der Tür schon, kehrten ihre Gedanken zum jetzigen Gast zurück. «Nun ist es Ihr Zimmer, Herr Reiseschriftsteller.» Mit einem spöttischen Blick ließ sie mich allein.
    Wie es oft ist in solchen Häusern, gab es auch in diesem ein liebenswertes Durcheinander von Edlem und reinem Kitsch, an dem einmal ein Herz gehangen hatte, war es erfüllt von sonderbaren Düften und Stimmen. Und wie so oft war es in eine eher gnädige als vornehme Dunkelheit gehüllt. Ich lag auf dem Bett, mein Blick schweifte über Erinnerungen. Große Muscheln und kleine, jahrhunderttrübe Karaffen auf dem Fensterbrett, winzige Mokkatassen. Ein zerschrammter japanischer Armeefeldstecher, das blanke Messing trat zutage. Ein schwarzer Bierdeckel aus dem Hotel George   V. in Paris. Ein rosa Glitterhase. Auf dem Schrank eine Sammlung nicht sehr wertvoller chinesischer Vasen. Dann dämmerte ich weg, das letzte, das ich zu hören meinte, war eine Frauenstimme, eine andere, nicht ihre, und rief und wimmerte nicht ein Kind?
    Davon wachte ich auch wieder auf. Rief und wimmertenicht ein Kind in der Dunkelheit hinter der gläsernen Tür, vor die ich den Vorhang gezogen hatte? Es flehte und rief leise einen Kosenamen, den ich nicht verstand. Nun näherte sich eine Frauenstimme, sie suchte das Kind zu trösten und wiederholte immerzu wie ein Trostlied den einen Satz: «What happened to your daddy?» Ich stand auf, um nachzusehen, zog den Vorhang zur Seite, und mir war, als renne ein Kind fort, ein kleiner Junge, und irgendwo werde eine Tür geschlossen. Ich zog den Vorhang wieder zu. In die Geheimnisse dieses Hauses zu dringen, stand mir nicht an, war ich doch nicht einmal sicher, ob ich die Stimmen im Halbschlaf nur geträumt hatte. Als ich später die dunkle Treppe zur Veranda hinunterging, hörte ich cremige Filmmusik – sie war in ihrem Zimmer, in ihrem Film.
    Die Veranda wurde mein Lieblingsplatz, die üppig blühenden Pflanzen, ein Korbsessel auf den ochsenblutroten Fliesen. Von ihm aus betrachtet, veränderte sich die Welt. Kleine Dinge wurden noch kleiner, die großen Linien klarer. Wolken segelten am blauen Himmel dahin. Lilien blühten und verblühten. Farne wucherten aus Urzeiten her, Schlingpflanzen hüllten die Veranda in ein mildes, dämmriges Licht, überhaupt hatte die brennende Texassonne Mühe, in die belaubte, säulengestützte Kühle von Waxahachie zu dringen.
    Es war später Nachmittag, als ich die Veranda verließ, um durch die Seitenstraßen und Gassen von Waxahachie zu streifen. Bambushaine schirmten die Herrenhäuser ab. Täuschte es, oder erging es ihnen ähnlich wie dem Haus, in dem ich heute nacht schlafen würde,standen sie nicht alle ein wenig verlassen in der abendkühlen Pracht ihrer Gärten? «Nurtured in the culture of the Old South», das fiel mir ein. Ich hatte es auf dem Sockel des letzten Präsidenten der Republik Texas vor dem Yankeesieg im Bürgerkrieg gelesen, auch ihm hatte Waxahachie ein Denkmal am Gericht gesetzt. Aufgewachsen in der Kultur des Alten Südens, genährt von ihr – was war das?
    Vielleicht der Leichenwagen, schwarz gestrichen, ausgeschlagen mit lila Samt, mit einem Skelett auf dem Kutschbock, ich erblickte ihn, als ich um eine Ecke bog, er stand als Dekoration vor einem Restaurant. Kein Wirt des Nordens, der bei Trost wäre, käme auf die Idee, für sein Gasthaus mit Gevatter Tod zu werben, dazu so theatralisch. Im Norden wurde der Tod versteckt und verschwiegen, das schwarze, altböse Schaf der glücklichen Familie. Es hatte eine Weile gebraucht, bis ich die Friedhöfe, an denen ich vorüberging, als solche erkannt hatte, sie sahen aus wie harmlose Parks und hießen alle Memorial. Hier aber saß der Alte, dem bislang kein Lebender entging, knochenweiß auf dem Bock und lud alle ein, es sich noch einmal recht gut gehen zu lassen drinnen im Restaurant, und bedeutete ihnen, er warte gern.
    Als ich zurückkehrte, fand ich sie auf der Veranda. Sie stand da und rauchte und sprach von ihrem Haus auf den Cayman-Inseln und von ihrer großen Familie, die nicht mehr hier war. Rang sie mit der Einsamkeit und dem Alter? Ja, aber sie hielt sich gut. Ich wußte immer noch nicht, ob sie allein in diesem großen Haus lebte und von Enkeln auf Besuch nur phantasiert und ichGeisterstimmen gehört hatte oder ob ich
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