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Hartland

Hartland

Titel: Hartland
Autoren: Wolfgang Buescher
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ein prächtiges Kreuz stechen lassen, ins rechte den Schriftzug «Christian Montana», und ich stand daneben und rang mit der gelernten, antrainierten Verachtung für derlei wie mit einem Fremdkörper im Blut. Natürlich, die protzigen Autos, der Cowboykult, das Jahr 2010.   Ich brauchte ein paar Minuten, um zuzugeben, daß es mir gefiel. Es war da, es lebte, fand zusammen. Nur ein verstockter Narr hätte die Freude der jungen Männer und Frauen an diesem Abend und den Glanz in ihren Gesichtern übersehen können, eine Freude, gemischt mit ruhigem Stolz auf ihr Sosein, dessen sie sich und einander versicherten, einfach indem sie kamen. Was war falsch daran? Nichts.
    Kurz vor Mitternacht fielen die ersten Tropfen. Es wetterleuchtete. Keiner der Hochzeitsgäste im Hotel nahm das ernst. Dann brach der Sturm herein mit Regen, Donner, Blitz, ein Gewitter gebar das nächste. Bizarre Lichtgebilde zuckten über den schwarzen Nachthimmel, der Regen ging in ein Schütten und Dreschen über, dieses in ein wüstes Brausen, das an den Gesetzen der Schwerkraft zerrte. Die Hochzeitsgesellschaft, vor Minuten noch ganz manierlich und ihrer Sache sicher – ein Marineoffizier ganz in Weiß, Damen in Galakleidern, junge wie alte, robuste und zerbrechliche, Herren im Frack, Kellner, die zu retten suchten, was nicht mehr zu retten war, einen gedeckten Tisch, ein Blumenbouquet, ein Tablett voll Champagner – das alles wurde vom Sturm einfach weggepeitscht. Ein Herr kam gerannt, ich erkannte ihn wieder, festlich gekleidet war er mir, verschwitzt und staubig, wie ich gekommen war, vor Stunden im Aufzug begegnet, jetzt schrie er, zerzaust und klatschnaß: «It’s a hurricane!» Eine alte Dame am Stock, ganz in Rosa, ganz dürr, vermutlich die Prinzipalin einer der Familien, eben noch Mittelpunkt etlicher jüngerer Damen, die sich respektvoll um sie geschart hatten, packte der Sturm und riß sie zu Boden, ein hilfloses Greisenbündel in seiner Hand; die Herren, die ihr aufhalfen, sah ich barfuß herbeirennen, im Hemd, die Lackschuhe abgeworfen, den Frack verloren. Nun fuhr ein großer Wagen nach dem andern vor, wer Glück hatte, fand seinen, sprang hinein oder wurde hineingestopft, Blitz auf Blitz fuhr in die Schwärze über dem Durcheinander. Hochzeitsgeschenke flogen durch die Luft. Eine Kleiderstange auf Rädern taumelte ein Stück übers Pflaster, bevor sie stürzte, der Wirbelsturm trampelte auf Abendkleidern und Schals, nasse Lappen nur mehr, herum wie besessen.
    Aber der Hurrikan blieb nicht Sieger. In Sekunden hatte er Kleider, Geschenke, Dekorationen und Pläne zerfetzt, in weniger als fünf Minuten die große, prachtvolle Hochzeitsgesellschaft fortgefegt. Und weniger als zehn Minuten darauf sammelte sich deren Rest drinnen in der Bar – und wie es nicht selten nach Katastrophengeschieht, herrschte eine aufgeräumte, beinah fröhliche Stimmung. Wir sind triefnaß und barfuß, und die Hochzeit ist ruiniert, aber wir leben noch. Ich mußte an Kleists hippieske Szene nach dem Beben von Lissabon denken, nicht viel anders war es hier. Alles lagerte um die Bar oder in Sitzgruppen der Lobby. Man hob das Glas, kopfschüttelnd, staunend, lachend – gerettet.
    Waco
    Warmer Wind wehte, machte blühende Wiesen nervös, trug Unruhe ins satte Grün der Bäume, ließ die schwarzblaue Haut der Sümpfe erschauern. Und als fehlte dem Bild etwas, war mitten ins Grasland die weiße Kirche gesetzt. Auf dem schön geschwungenen Weg hier heraus, junge Bäume säumten ihn, siebzig oder achtzig, jeder gepflanzt für einen Toten, war ich der Frau begegnet. Wie alt war sie? Schwer zu sagen, nicht jung, nicht alt. Etwas früh Verhangenes war um sie, etwas von einer mädchenhaften Witwe. Sie sprach wenig und das wenige gleichmütig wie eine, die den Untergang hinter sich hat. «Nur die Molkerei ist noch original», sagte sie jetzt und zeigte auf einen Scheunenbau dort hinten im Gras. Die Molkerei hatte zum Mount Carmel gehört, dem Hauptquartier der Davidianersekte, aber nichts glich mehr den fehlfarbenen Bildern in den Fernsehnachrichten vom April 1993, als hier draußen so viele umgekommen waren, wie Bäume am Weg standen. Auf einem Stein, errichtet von Überlebenden, stand eine Kurzfassung der Katastrophe:
    «Am 28.   Februar 1993 wurden eine Kirche und ihre Mitglieder, bekannt als Branch Davidians, von Agenten des ATF und des FBI angegriffen. Stolze einundfünfzig Tage hielten die Davidianer und ihr Führer David Koresh stand. Am 19.   April 1993
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