Hartland
gebraucht.
Die kleinste Ranch der Welt hatte ich besucht, nun war es Zeit, die größte der Welt zu sehen. Anderthalb Morgen nannte Moe sein eigen, die King Ranch maß ungefähr eine Million. Nach allem, was ich über sie gehört hatte, war sie weit mehr als eine Ranch – eine Seinsweise, ein Staat im Staate Texas. Ihr Name ging auf ihren Gründer zurück, den wildgelockten, langbärtigen Schiffskapitän Richard King. Von seinen mittellosen Eltern an fremde Leute weggegeben, schlug er sich als junger Mann an den Küsten und auf den Flüssen Floridas und Alabamas und schließlich in Texas durch, bis seine Stunde kam: Im Bürgerkrieg mit dem Norden organisierte King den Nachschub der Südstaaten und machte damit ein Vermögen. Er brauchte es, er hatte eine grandiose Idee.
Sie war ihm bei einem Hundertmeilenritt durch das äußerste Südtexas gekommen – durch den Landstrich, der mir nun bevorstand und der zu Kings Zeit die Wüste der Wildpferde genannt worden war und von den Mexikanern El Desierto de los Muertos, die Wüste derToten. King hatte dort Wasser gefunden und viel Wild und sich in den Kopf gesetzt, dieses brüllend heiße, völlig menschenleere Land zu besitzen und eine Ranch daraus zu machen – die größte von allen. Eine Wüste, die soviel Wild ernährt, sagte er sich, kann auch meine künftigen Rinderherden ernähren.
Er hatte noch viele andere Ideen. Eine war, über die Grenze nach Mexiko zu gehen, um dort Vaqueros für seine Ranch anzuheuern. Nur Mexiko kannte damals derart riesige Haziendas, wie er sie sich vorstellte, nur mexikanische Cowboys hatten Erfahrung damit. Auch darin ging King aufs Ganze, er heuerte ein ganzes mexikanisches Dorf an, überzeugte die Mexikaner samt ihren Familien, ihm nach Texas zu folgen, und siedelte sie auf seinem Land an, in seiner Wüste.
Sie blieben ihm treu, von Generation zu Generation. Kineños wurden sie genannt, und sie nannten sich selbst so – Kings Leute. So kam es, daß die King Ranch nicht nur ihre eigenen Rinderrassen, Pferde und Rennpferde züchtete, sondern auch ihre eigenen Cowboys heranzog. Die Kineños ritten für die Ranch ein Leben lang, und auch wenn sie alt waren, gab ihnen die Ranch, was sie brauchten. Kein Kineño mußte sie zu Lebzeiten verlassen. Eine derart eng und persönlich mit der Ranch und ihren charismatischen Ranchern verbundene, im Grunde erbliche Cowboytruppe zu haben, hatte nicht wenig zum Aufstieg der King-und-Kleberg-Dynastie beigetragen. Bis vor wenigen Jahren war hier Cowboy auf Cowboy gefolgt, der Vater auf den Großvater, der Sohn auf den Vater, der Enkel auf den Sohn – sieben Generationen lang.
Ich kam mittags nach Kingsville, zur heißesten Zeit des Tages, das Thermometer zeigte über hundert Grad Fahrenheit. Der Kapitän war überall. Daß die Ranch immer noch King Ranch hieß, war längst nicht alles. Auch die Stadt war nach ihm benannt, Kingsville, und ihre Hauptstraße, King Avenue. Und was nicht nach King benannt war, trug den Namen der deutschstämmigen Nachfolger des Gründers – Kleberg. Kleberg Avenue hieß die zweite Hauptachse von Kingsville, und der Verwaltungsbezirk, in dem die Ranch lag, Kleberg County. Und so fort. Andere Straßennamen würdigten andere Angehörige der Dynastie, und sogar der Friseur an der Ecke hatte seinen kleinen Laden «King» genannt und die Kosmetikerin den ihren «King Nails».
Die Hitze leerte die East Kleberg Avenue, alles floh in die Häuser. Wie es weitergehen sollte, wußte ich nicht. Vor mir lagen achtzig Meilen Halbwüste, die schnurgerade Autopiste von Kingsville nach Brownsville – der Weg durch die Wüste der Wildpferde, die immer noch eine Wüste der Toten war. Von Illegalen aus dem Süden hatte ich gehört, die die Polizeikontrollen auf der Straße meiden und sich durch das staubtrockene Buschland schlagen wollten. Nicht wenige fand man tot auf, verdurstet, vor Erschöpfung zusammengebrochen. Ich nahm mir vor, es so zu halten wie bisher, mich treiben, es auf mich zukommen zu lassen, etwas anderes blieb mir gar nicht übrig, und zog mich in das einzige offene Café zurück.
Als es zur Siesta schloß, ging ich in den einzigen Laden, der jetzt noch aufhatte, den Saddle Shop der Ranch. Hier fiel mir ein kleiner, alter Mann auf, dersehr respektvoll gegrüßt und behandelt wurde. Er trug eine große Brille, einen Hut, ein hochgeschlossenes Cowboyhemd und statt einer Krawatte eine gebundene Schnur, in silbernen Spitzen auslaufend, wie ich es schon oft bei
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