Hartmut und ich: Roman
Sessellehne, hat das kleine Köpfchen auch nach oben gerichtet und sagt: »O ja!«
Yannick sollte Recht behalten.
Am Wochenende stehen wir im Wohnzimmer und haben die Einzelteile auf dem Boden und den Couchen ausgebreitet. Hans-Dieter ist zum Helfen gekommen, denn Hans-Dieter hat ja schon seit Jahren eine Katze und kann uns als deren erfahrener Mitbewohner somit zur Seite stehen. Er hat seine DJ nicht mitgebracht, denn Yannick ist auf ältere Artgenossen gar nicht gut zu sprechen. Einmal, als Hans-Dieter mit DJ an seiner Seite am Fenster vorbei zur Mülltonne ging, stand Yannick auf der Fensterbank, und ich hätte wirklich schwören können, dass er der stolzen Katze unseres Nachbarn auf Katzenart den Stinkefinger gezeigt hat. Jetzt sitzt Yannick in der Küche und ist mit Sahneschokoladenmandelpudding abgelenkt, während Hans-Dieter und Hartmut die Bretter sortieren und überlegen, welches in welcher Reihenfolge an die Decke gehängt werden soll. Ich halte es ja für eine recht wahnwitzige Idee, eine komplette Laufsteg- und Kletterlandschaft an der Decke zu bauen, befestigt an den Seitenwänden des Zimmers, von wo aus dann Auf- und Abstiegsrampen in diese künstliche zweite Wohnzimmeretage führen, und verstärkt mit Seilen und Ketten, die mit kräftigen Ösen in unsere Decke und somit in Kirstens Fußboden gerammt werden. Vielleicht ist das alles auch einfach ein bisschen viel Aufwand dafür, dass ein kleiner, junger Kater mit der Zerstörung der Wohnung und dem wilden Kacken in die Ecken aufhört. Vielleicht habe ich aber auch einfach keine Ahnung von Hartmuts Heuristik … er ist der Problemlöser von uns beiden, er hat einen eMail-Beratungsdienst und er macht gerade wieder gut, dass er damals Susanne aus seinem Leben verdammt hat, die ihm genau das predigte, was er jetzt Tag für Tag tut und anderen per Internet rät. Susanne kam einfach zu früh. Alles hat halt seine Zeit. Das ist jetzt auch schon wieder recht lange her. Ich gehe in die Küche, um mir ein Glas Milch zu holen, als Yannick plötzlich von seinem Puddingtopf zurückschreckt, als sei ihm der Leibhaftige begegnet, und auch ich zusammenzucke, als begännen unangemeldete Luftangriffe über dem Ruhrgebiet. Hartmut hat die erste Bohrung vorgenommen. Es wird wieder leise, ich höre Putz aus der Decke rieseln. Hartmut niest und sagt: »Boah, das ist härter, als ich dachte.«
»Versuch’s mal mit Schlagbohrfunktion«, sagt Hans-Dieter, doch bevor Hartmut erneut bohren kann, kommen Yannick und ich ins Wohnzimmer und blicken die beiden Heimwerker empört an. »Sag mal, war dir bewusst, dass Katzen alles zigfach lauter hören als Menschen? Wenn du so weitermachst, hat Yannick zwar sein Kletterparadies, aber dann kann er auch als tauber Kater da drüberhuschen.« Yannick nickt und guckt giftig, dann dreht er sich um und geht wieder in die Küche. »Oh, entschuldigt bitte, ihr beiden!«, sagt Hartmut mit dieser hohen, gerührten Stimme, mit der Männer sonst nur mit Freundinnen am Telefon reden, geht Yannick hinterher und will ihn trösten, fängt sich aber nur ein Fauchen ein. Bedröppelt sieht er mich an. »Kümmerst du dich eben um ihn?«, fragt er, und ich nicke, nehme Yannick auf den Arm und gehe mit ihm in den Westflügel in Hartmuts Zimmer, möglichst weit weg von dem Getöse. Ich schließe alle Türen hinter mir. Als Hartmut drüben wieder zu bohren anfängt, halte ich Yannick aus Scherz die Ohren zu und bemerke erst einen Moment später, dass sich der Kleine nicht gegen diesen Anfall menschlicher Stofftierisierung von Katzen wehrt, sondern sich tief und innig in meine Arme einrollt, als wolle er auf ewig darin verschwinden. Er miaut, als ich die Hände wieder von seinen Ohren nehme und das, obwohl Hartmut gerade wieder Bohrpause macht, und als ich sie vorsichtig wieder ansetze, merke ich an seinem Schnurren, was ihm an meiner Berührung so sehr gefällt. Immer, wenn ich mit meinen Händen sanft an diese Katzenohrrandhärchen komme, die fein von den Lauschern der Katzen abstehen, drückt er seine Schnauze inniger gegen meine Brust. Ich fahre mit dem Finger vorsichtig und mit dem Strich an diesen Härchen entlang, setze mich mit ihm auf Hartmuts Bett und spüre, dass ich Yannicks liebsten Punkt gefunden habe. Mit Sahneschokoladenmandelpudding und den Katzenohrrandhärchen habe ich ihn. Was bin ich doch für ein prächtiger Ziehvater und Pädagoge. Als Hartmut jetzt zum dritten Mal bohrt, höre ich, wie Hans-Dieter »Ohooo!« schreit, es knackt und
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