Hartmut und ich: Roman
futtere, die ich auf Anraten von Hartmut in ein Glasgefäß umgefüllt habe, weil die knalligen Kartons unsere Wahrnehmung zu sehr ablenken. Hartmut hat schnell solche Tipps parat. Er betreibt immer noch seinen eMail-Dienst zur Lebensberatung. »Yannick hat in die Ecke hinter den Videorecorder gekackt!«, sage ich und versuche dabei so gleichmütig wie möglich zu klingen. Hartmut sieht mich an, zieht kurz die Augenbrauen hoch, geht ins Wohnzimmer, um das Malheur zu inspizieren, holt Küchentücher, einen Lappen, Sagrotan und Febreze und spricht beim Saubermachen wie eine klassische Hausfrau einfach weiter. »Da dürfen wir noch nicht so streng mit ihm sein. Der gewöhnt sich schon noch an das Katzenklo im Bad.«
»Hartmut«, sage ich und setze meinen milchtropfenden Löffel ab, »der kackt nicht aus mangelnder Übung in die Ecken, der hat immer noch seine Protestphase.«
»Eben«, sagt Hartmut, »und deshalb müssen wir so tun, als wenn uns das gar nicht aufregt, dann verpufft der Protest einfach ins Leere. Du weißt doch, Lösungen zweiter Ordnung.« Ich hebe die Hände und nicke. Ich kenne den Vortrag. Hartmut hat auf alles eine Antwort. Hartmut macht Lebensberatung. Yannick kommt wieder in die Küche getänzelt, stolziert ein wenig und sieht das braune Küchentuch in Hartmuts Hand. Hartmut tut so, als handele es sich dabei gar nicht um Yannicks Geschäft und als denke er gerade an etwas völlig anderes, und der kleine, ein paar Monate junge, sportliche, schwarze Kater grinst süffisant in sich hinein.
Das Problem mit Yannick fängt schon da an, dass es nur eine Sache gibt, die er wirklich gerne isst. Sahneschokoladenmandelpudding. Ich habe das herausgefunden, als er einmal mit einem besonders umfangreichen Zerstörungstrip zugange war, infolgedessen das komplette untere Drittel der Wohnzimmertapeten, der Hibiskus auf der Fensterbank, die linke untere Ecke der Beistellcouch und das komplette Gewürzregal dran glauben mussten. Ich saß währenddessen auf dem Sessel, spielte Playstation und aß derlei Pudding, als Yannick plötzlich mit der Verwüstung der Wohnung aufhörte, auf meinen Schoß sprang, herzzerreißend miaute und seine Schnauze schon in dem Moment in meinem Becher steckte, als ich mit einem kaum in Superzeitlupe wahrnehmbaren Minimalnicken die Erlaubnis zur Selbstbedienung vage angedeutet hatte. In ein paar Sekunden hatte er sich den nicht mal billigen Pudding reingeschleckt und rollte sich fortan auf meinen Beinen ein, schnurrte und ließ sämtliche Wohnungseinrichtungen an diesem Abend in Ruhe.
»Es ist der Pudding«, sagt Hartmut jetzt, als er das Küchentuch mit Yannicks Geschäft in die Mülltonne schmeißt und ich meine letzten Choco Pops auslöffele. »Der Pudding stört seine Verdauung. Er kann das dann nicht mehr kontrollieren.«
»Ich glaube, er kackt eher aus Protest, weil er zu wenig Pudding kriegt«, bringe ich meine Gegenthese an. Yannick sitzt derweil auf der Lehne des Wohnzimmersessels und sieht uns durch den Perlenschnurvorhang interessiert und mit großen Augen an, ohne uns einen Hinweis auf die Richtigkeit unserer Thesen zu geben. »Man kann weder das eine noch das andere beweisen«, sagt Hartmut und wäscht sich die Hände über der Spüle. Dann nimmt er sich einen Kaffee. »Ich halte es für sinnvoll, wenn er eine Katzenlandschaft kriegt«, sagt er.
»Eine was?«, frage ich.
»Eine Katzenlandschaft. Holzbretter mit Stoff verkleidet, irgendwo recht weit oben über Schränke und Dielen gebaut, mit viel Auf und Ab und Seilen und … «
»Klingt wie ein Affenkäfig im Zoo«, sage ich, und Hartmut nickt, an seiner Tasse nippend. »Ja, genau! So ähnlich. Der Kleine will beschäftigt werden.«
»Wir haben kaum Schränke«, bringe ich an und habe damit sogar Recht, denn die einzigen wirklichen Schränke im öffentlichen Teil dieser Wohnung stehen in der Küche. Im Wohnzimmer gibt es nur die Couchen, den Couchtisch, den Fernsehtisch und das Regal mit der Playstation-Bibliothek. Und in meinem Zimmer wird mit Sicherheit keine Zoolandschaft gebaut.
»Ich habe in Heuristik aufgepasst«, sagt Hartmut, geht raschelnd durch den Perlenschnurvorhang, stemmt wie ein Schreiner auf Begutachtung die Hände in die Seiten und schaut sich die Decke des Wohnzimmers an. »Improvisation ist die Muse des Erfinders! Wer sagt, dass wir Schränke brauchen?«
Ich stelle mich daneben, schaue auch nach oben, schüttele den Kopf, ahne, was er vorhat, und sage: »O nein!« Yannick sitzt auf der
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