Hartmut und ich: Roman
besitzt, das jemals in Deutschland erschienen ist. Ich sollte mich über wenig wundern, was von diesem Pärchen aus dem Zimmer kommt. Doch jetzt spitzen sich im Badeschaum selbst meine Ohren.
»Was ist denn das?«, ruft Hartmut.
»Eine Always, weißt du nicht, was eine Always ist?«
»Natürlich weiß ich, was eine Always ist!«
»Und?«
»Wie und? Hast du deine Periode?«
»Nein.«
»Hast du Ausfluss? Ist was undicht?«
»Nein.«
Die Stimmen klingen dumpf durch die Zimmertür, aber die Worte finden den Weg in meine Ohren. Ich stecke meinen Kopf in den Schaum, bis ich Bläschen atme. Es hilft nichts. Ich habe mir den falschen Mitbewohner gesucht. Ich werde nie reich genug sein, um mir eine eigene Wanne leisten zu können. Die Playstation ist kaputt. Ich sehe Jörgen über den Platinen, wie Tabak von seinem Joint in die Technik fällt. So wie Chirurgen Handtücher oder Klemmen in Bäuchen vergessen. Ich versuche, mich zu ertränken. Es klappt nicht. Die Stimmen klingen immer noch durch die Tür.
»Soll das heißen, du trägst die Dinger jeden Tag!!!???«
»Ja, natürlich, das ist doch normal, oder? Heißen doch nicht umsonst Always!«
»Esther!!!« Hartmut klingt entsetzt. Er klingt, als habe ihm Esther gerade verraten, dass sie von ihren Eltern nie aufgeklärt wurde. Hartmut hat seine letzte Hausarbeit in Gender-Theorie geschrieben. Er hat schon in Antifa-Zimmern über Antisexismus diskutiert. Er japst. »Esther!« Er schluchzt und scheint sie in den Arm zu nehmen, dann springt plötzlich die Tür auf, und Hartmut sieht mich an, wie ich in der Wanne liege. »Hast du das eben gehört?«, flüstert er, als sei es völlig normal, dass ich mithörend bade, während er mit seiner Freundin über Intimbereiche redet. »Sie glaubt, sie müsse jeden Tag Binden tragen, ob Regel oder nicht.«
Ich ziehe die Augenbrauen hoch, um seinem Entsetzen beizupflichten. Ich frage mich, wann ich das nächste Mal baden kann. »Da hast du das ganze Elend!«, fährt Hartmut fort. »Die Werbung, das Patriarchat!« Hartmut spricht gerne in Substantiven, wenn er empört ist. Man darf ihn dann nicht unterbrechen. »Die ewige Schmutzigkeit und Verderbnis der Frau. Als sei sie immer undicht. Dabei sind wir es doch, die gelbe Flecken und Rallyestreifen in der Hose haben!« Ich will ihm sagen, dass dies auf mich nicht zutrifft, aber ich bleibe still. Mein Mund schmeckt nach Seife. »Da hilft nur eins!«, sagt Hartmut jetzt und verschwindet wieder in seinem Zimmer. Nach wenigen Minuten kommt Esther rausgestürmt, schaut mich empört an und sagt: »Er will jetzt auch immer Always tragen. Er sagt, ihr seid viel undichter als wir!« Liegt es am Schaum, der mich umhüllt, dass ich hier in der Wanne zum öffentlichen Ansprechpartner werde? Oder traut man mir generell keine Privatsphäre zu, wie Kleinkindern und Irren? Esther stemmt die Arme in die Hüften: »Er sagt, nur so könne ich lernen, dass diese Gehirnwäsche, diese sexistischen Diskurse, reine Konditionierung seien!« Ich zucke im Schaum mit den Schultern. Ich liege nackt in der Wanne, in meinem Bad, und soll mit einer mir eigentlich recht fremden Frau darüber sprechen, ob es irrsinnig ist, ständig Binden zu tragen. Ich will ihr sagen, dass ich auch lange Zeit glaubte, vom Onanieren später Bandscheibenvorfälle zu kriegen, mal davon abgesehen, dass ich vor Gott Schuld und Schmutz auf mich lud, dass dies aber mit vierzehn abschwoll. Esther ist nicht vierzehn. Esther trägt ständig Always und liest Perry Rhodan. Ich schweige. Sie seufzt und verschwindet im Flur.
Eine Woche später ist Esther verschwunden. Hartmut trägt immer noch Binden, er sagt, das sei gar nicht so unangenehm und verhindere die Rallyestreifen selbst bei exzessiver Flatulenz. Hartmut sagt mir manchmal Dinge, die ich nie erfahren wollte. Ich glaube auch, dass er sich irgendwie avantgardistisch fühlt dabei. Jörgen hat die Playstation repariert, und sie läuft wie eine Eins. Am Samstag kann ich endlich in einer leeren Wohnung in die Wanne gehen. Hartmut ist nicht da. Er hat ein neues Date. Diesmal war’s nicht über eBay.
ADVENT
Es war zwei Tage vor dem ersten Advent, als die Herrschaften gegenüber einen kleinen, roten Lichterbogen ins Fenster stellten. Ihre Katze sprang zuerst mürrisch daneben und wollte den ihr angestammten Platz auf der Fensterbank gegen das Geleucht verteidigen, doch schließlich fand sie genug Platz und genoss fortan das Hocken im Schein des Lichtes wegen seiner Gemütlichkeit, seiner
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