Hartmut und ich: Roman
brechen, nicht wahr? Ich für meinen Teil sehe nämlich da in Ihrem Schaufenster eine baugleiche Flasche wie die meinige hier, ÖNORM A 5012. Regelt Mehrwegflaschen aus Glas in so genannter Bordeauxform mit einem Nennvolumen von einem Liter für stille Getränke. Aber ich denke, dass Sie das genauso wissen wie ich, schließlich sind Sie Getränkefachhändler, und wie könnten Sie da nicht … «
»Verschwinden Sie von meinem Kiosk!«, schallt es durch die Straße.
Ich bette leise den Kopf in meine Hände. Wir wollten Weihnachtsgeschenke kaufen. Dieses Jahr mal früher. Wieder nichts. »Ich bleibe«, sagt Hartmut, »ich bleibe«, und setzt sich demonstrativ auf das schmale Bord der Trinkhalle. »Also gut, bleiben Sie!«, sagt der Kioskmann trotzig und setzt sich wieder vor den Fernseher. Als nach wenigen Minuten der erste Kunde kommt, geht Hartmut auf ihn zu, spricht irgendwas mit ihm, zeigt über die Kreuzung, als erkläre er einen Weg und schickt den Mann in die Nacht. Dasselbe mit dem nächsten. Und übernächsten. Beim vierten Mal bemerkt der Kioskmann, was abgeht, und steckt seine krumme Nase durch den Schlitz. »Verdammt noch mal, was machen Sie da?«
»Nichts, unterhalte mich bloß mit Leuten.«
»Sie vergraulen mir die Kunden!«
»Lässt sich schnell ändern«, sagt Hartmut und wedelt mit der Flasche vor dem Schlitz herum. Plötzlich schnellt die Hand des Mannes aus dem Schlitz, zieht schnell und mit einem giftigen Grummeln das Altglas herein und röselt einen Moment im Inneren der hermetischen Box. Nach einer Minute kommt ein Heft aus dem Schlitz geflogen, es sieht aus, als habe der Kiosk eine Münze ausgespuckt. Hartmut hebt es auf und starrt auf die Seiten. »Perry Rhodan, Restausgabe. Nehmen Sie’s oder nicht. Aber Geld gibt es für die Flasche hier nicht!«, sagt der Kioskmann. Dann schließt sich der Schlitz mit einem kurzen, schroffen Ruck.
Hartmut nahm das Heft. Er setzte es auf eBay und versteigerte es für 2,57 Euro an einen weiblichen Perry-Rhodan-Fan namens Esther. Zwei Wochen später tummelte Esther sich in unserer Wohnung und blieb. Es war schwer, etwas über sie zu erfahren, denn sie verließ Hartmuts Zimmer nur, um die Toilette zu benutzen oder zu duschen. Nur Hartmut kam ab und zu in Unterhosen in die Küche, goss sich ein Glas Wasser ein und grinste mich auf diese zufriedene Art an, in der Männer grinsen, wenn sie gerade Sex hatten, während ihr Mitbewohner im Wohnzimmer Playstation spielt. »Esther … «, seufzte er dann, starrte abwesend auf die Kacheln hinter der Spüle, trank einen Schluck, sah mich an und schloss mit den Worten: »Wie ich schon sagte: Man muss seine Chancen nutzen. Weißt nie, wofür’s gut ist.« Dann ging er in sein Zimmer zurück, und ich dachte an ihn, kopfüber im Busch, die Pfandflasche erkämpfend. Kopfschüttelnd setzte ich mich wieder auf die Couch, kraulte Yannick die Ohren und war irgendwie stolz auf ihn.
ALWAYS
Ich liege in der Wanne. Nebenan ist Hartmut mit Esther zugange, aber ich kann nicht ständig darauf Rücksicht nehmen. Das Bad ist nun mal ein Durchgangsraum, und ich brauche mein regelmäßiges Schaumbad, sonst werde ich völlig unleidlich. Die Playstation ist kaputt, Jörgen repariert sie gerade, doch das kann Tage dauern bei dem alten Kiffer, und das ist alles schon deprimierend genug. Das Badewasser riecht nach Eukalyptus, blauer Lagune, Fichtennadelwald und ein wenig Pfirsich, da ich wieder alle Flaschen gemischt habe. Was hier heute Abend abfließt, wird das örtliche Grundwasser auf Jahre verseuchen, aber das habe ich mir verdient. Der Schaum wölbt sich bis weit über den Rand, ich muss richtig mit meinem Comic jonglieren, damit das Buch nicht nass wird. Nach wenigen Seiten wandern meine Ohren unweigerlich ins Nebenzimmer. Ich kann nicht anders. Ich lausche. Was ich höre, sollte mich nicht wundern. Die, die dort sprechen, sind Hartmut und Esther. Hartmut, der einst jede Spam-Mail mit einer Bestellung beantwortete, um den E-Commerce durch affirmative Subversion zu bekämpfen. Hartmut, der die Nachbarschaft von Strom und Wasser und den Koksdealer von seinem Fahrrad trennte. Hartmut, der seine Esther über eBay kennen lernte. Esther, der weibliche Perry-Rhodan-Fan, die Frau, die nachts um halb vier Reportagen über serbokroatische Künstler auf Arte sieht und am nächsten Morgen in unserem Wohnzimmer Peter Alexander anmacht. Esther, die Stephen Hawking liest und Stephen King verachtet, während sie jedes Perry-Rhodan-Heft
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