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Hartmut und ich: Roman

Hartmut und ich: Roman

Titel: Hartmut und ich: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oliver Uschmann
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so gerne aufhielt, als wir als Kinder diese Serie mit den dreibeinigen Wächtern nachspielten. Hartmut holt seinen Block raus und macht Notizen, Pia und Frank vertrauen auf sein Protokoll, halten Händchen und schmiegen sich aneinander während unseres Spaziergangs. Beide tragen schwarze Mäntel und dünne, schwarze Schals, turteln ein wenig und zeigen hier und da mal auf ein Haus wie Touristen auf dorische Säulen. Ein paar Häuser weiter lacht Hartmut kurz und schmerzlos auf. Sämtliche Fenster sind dort mit Glühwürmchenschlauch umrandet, ebenso alle Dachrinnen und Abschlüsse, das ganze Haus hat leuchtende Konturen wie eine »Haus vom Nikolaus«-Zeichnung, die man mit goldenem Edding auf schwarze Pappe gemalt hat. Hartmut notiert eifrig die Entwicklungen, das gelbrote Licht setzt das schwarze Halsband mit den Stacheln in Szene, das Pia trägt, und Frank spielt auf ihrem Rücken mit ihren Fingern in den Handschuhen. Wir sprechen nicht viel auf diesen Spaziergängen, sondern betrachten in Ruhe die Nachbarschaft, während ich auch häufig Pia und Frank beim Betrachten betrachte. Ich hätte jetzt gern Glühwein.
    In der Straße mit den alten Bergbauhäusern geht es richtig los. Hier haben längst die Duelle begonnen, die alten, massiven, urigen Häuser auf beiden Seiten der Straße stehen sich gegenüber wie Cowboys oder Kirmesbuden, die Straße selbst ist eine Flaniermeile geworden, ich sehe automatisch auf den Boden, um abgerissene Loszettel und alte Pommesschalen zu erspähen. Es scheint, als bestünden manche der Eigenheime nur aus purem Licht, das hier und da von einem Stein oder einem Stück Zement dekoriert wurde. Ein Apfelbaum senkt die Äste unter vielleicht fünftausend Glühbirnen, an einer Stelle ist die Dachrinne abgebrochen, Wasser tropft knapp an den dünnen Kabeln vorbei, die am Rand des Hauses gesammelt in einem Schuppen verschwinden. Es ist, als stünden wir in einem riesigen Computer, und die Häuser sind als Prozessoren mit vielen losen Kabeln an das Motherboard angeschlossen, der Tower ist transparent, und sein Inneres leuchtet, und für den großen User über uns sind wir auch bloß wuselnde Würmchen wie für uns die Punkte in den Lichtschläuchen dieser Nacht. Einige weitere Spaziergänger kommen uns entgegen, sie zeigen auf Giebel und Fenster, Vorgärten und Bäume und brummen unter ihren Schals verächtlich oder inspiriert, während hier und da ein Vorhang in den Häusern zur Seite gezogen wird und Menschen mit Teetassen ihre Zuschauer beobachten. Menschen wie du und ich, die nicht danach aussehen, diesem pathologischen Wahnsinn verfallen zu sein, und die mir wieder mal die Banalität des Blöden vor Augen führen. Es ist überall. Auch in unserer Nachbarschaft. Pia sagt, dass ihr die Zehen frieren, und Hartmut nickt wie ein Sergeant, der die Mission für beendet erklärt und genug Daten für heute gesammelt hat. Zurück vor unserer Haustür, beschließen Hartmut und die anderen, die Verdunkelung des Hauses auch auf die Seitenflanken auszuweiten. Eine halbe Stunde später stecken wir mitten im Bastelfieber.
    Am Sonntag, dem zweiten Advent, kommen Touristen in unser Viertel. Hartmut beobachtet es schon am Vormittag, als er in Unterhosen am Fenster steht und durch die Bullaugen linst. »Das sind heute mehr als bloß Verwandtschaftsbesuche«, sagt er. Gegen Nachmittag sind bereits sämtliche Straßenränder zugeparkt, hier und da stehen Smarts und neumodische Mini Cooper quer oder in zweiter Reihe. Als es dunkel wird und überall die Weihnachtsbeleuchtungen angehen, stehe ich schon im Flur mit Handschuhen und Mütze bereit, als Hartmut gerade aus dem großen Bad kommt und mich rufen will. Er bricht seine Order im Keim ab und lacht. Da klopfen auch schon Frank und Pia.
    Auf dem Weg zur Straße mit den Bergbauhäusern sehe ich, dass Hartmuts Prognosen richtig waren. Die Dichte der parkplatzsuchenden Autos nimmt zu, schnatternde Menschen steigen aus den PKWs, Türen knallen, Omas rücken ihre Hüte gerade. Als wir in die Straße einbiegen, kommt uns ein Gaukler entgegen, ganze Menschenmengen wippen durch die Gegend, die Häuser links und rechts feuern, was das letzte Watt hergibt. Vor dem Haus mit dem überlasteten Apfelbaum ist ein Stand mit heißen Mandeln, Kakao und Glühwein aufgebaut, drei Gärten weiter verkaufen sie Bier und rote batteriebetriebene Weihnachtsmannmützen, deren Ränder mit blinkenden Lampen besetzt sind. Ich frage mich, wann sie Reißverschlüsse erfinden, die nur mit

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