Hartmut und ich: Roman
Wärme und sicher auch wegen des Ruhms, der ihr dadurch zuteil wurde, wenn Kinder, Rentner und studentische Paare mit Wollmützen und kleinen Turnschuhen auf das Fenster zeigten und Geräusche machten, wie man sie sonst nur in der Stofftierabteilung vernimmt. Als Yannick dann auf unserer Seite der Straße auf meiner Fensterbank konterte, schwangen die Köpfe der Passanten auf der Straße hin und her wie beim Wimbledon-Finale. Die Katze von gegenüber gewann das Match wegen der besseren Ausleuchtung der Bühne. Ich hatte nichts gegen den Lichterbogen und das warme, dezente Licht, doch ich konnte nicht ahnen, dass es der Beginn eines Lichterkrieges sein sollte, der unser Haus in immer tiefere Dunkelheit stürzen würde.
Jetzt schreiben wir die Woche vor dem zweiten Advent, und Hartmut hat gerade meine Fenster mit schwarzer Folie verklebt. Zwei Gucklöcher lässt er mir, Bullaugen mit dem Durchmesser einer Langspielplatte. Ich protestiere kaum noch, da ich sein Projekt nicht gefährden will und da es ja auch bescheuert aussieht, wenn die Vorderfront des Hauses nur auf einer Seite schwarz verklebte Fenster hat. Das Gothic-Pärchen von oben macht Hartmuts Aktion natürlich begeistert mit. Nur Kirsten weigert sich standhaft, ihre Fenster zu verdunkeln. Sie hat sogar aus Trotz gegen unseren »Unsinn« ihre Fenster mit Leuchtschläuchen umrandet und jeweils einen strahlenden Stern in die Mitte gehängt. Die Front unseres Hauses sieht jetzt aus wie ein alter Breitwandfilm im Kino – oben und unten schwarze Streifen und in der Mitte zwei hell umrandete Augen, die mit leuchtenden Sternenpupillen verbissen in die Nacht starren. Hartmut regt sich gar nicht auf über Kirstens Insubordination. Gerade der Kontrast mache unsere Schwärze doch erst richtig spektakulär, und außerdem wirke in der jungen Polizistin der gute alte Trotz und nicht etwa der Mithaltedrang gegen das Gepränge der Nachbarschaft. Ich finde es lustig, wie Hartmut hier von unserer Verdunkelung spricht, wo ich von selbst niemals auf die Idee gekommen wäre, den grassierenden Weihnachtsbeleuchtungswahn mit dem tiefschwarzen Gegenteil zu kontern.
Jetzt ist Hartmut fertig, packt lächelnd das Klebeband ein, zeigt wie ein Verkäufer am Messestand auf meine Fenster und lässt mich näher treten. Bedröppelt stehe ich da in meinem Zimmer und gewöhne mich daran, dass ich dieses Jahr den Schnee nur durch Bullaugen wahrnehmen werde, als würde ich mit einem Eisbrecher durch die Arktis fahren und fern der Heimat aus meiner Rumpfkajüte schauen. Die Fenster an den Seitenflanken sind noch frei. Aus der Küche heraus beobachtet Yannick den Garten der Häußlers. Die Büsche tragen dort schon Lichterketten, und im Rasen stecken Leuchtstäbe wie fluoreszierende Skistangen mit Glühwürmchen drin. Ich befürchte, der Krieg hat gerade erst begonnen.
Kurz nach Sonnenuntergang klopfen Pia und Frank von oben, Hartmut ruft mich, und wir müssen los zur Patrouille. Jeden Abend machen wir diesen Kontrollgang, betrachten die Entwicklungen in der Nachbarschaft, notieren Aufrüstungen und Zuspitzungen in bestimmten Gebieten, machen hier und da ein paar Fotos vom Feind. Ich ziehe mir die Handschuhe an und eine Mütze über die Ohren, grüße die beiden und schließe die Tür ab. Mir gefällt dieser allabendliche Spaziergang durch das gelb, orange und rot leuchtende Viertel. Es ist, als würde man abends durch einen leeren Themenpark gehen. Lediglich nach dem Rundgang wird’s ungemütlich. Da heißt es weitere Verdunkelung bei uns, falls die Mitbürger es mit dem Licht weiter übertrieben haben, und all die Gemütlichkeit geht wieder baden zwischen Panzertape, Reißzwecken, schwarzer Folie und Vermessung.
Wir gehen erst mal links die Straße runter, als die alte Haustür ins Schloss fällt, und sehen schon sofort, dass Frau Klein und Herr Schober ordentlich was getan haben. Eine Gruppe Rentiere steht dort bei Schobers im Garten, aus Lichtschläuchen und Draht geformt. Frau Klein hat einen großen Weihnachtsmann an den Dachfirst gehängt, der versucht, in das obere Fenster zu gelangen, und an ihrer Tür blinkt mittlerweile ein komisches Mandala in Blau, Rot, Gelb und Grün wie die Losbudenverkleidung auf der Kirmes. Die Hecken zum Weg hin kommen auf ein Lämpchen pro Blatt, und im Vorbeigehen höre ich ein leises, aber spürbares Gesumme, als sei die Luft in den Vorgärten dieser beiden Familien so aufgeladen wie der Platz unter den Strommasten am Niederrhein, wo Hartmut sich damals
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