Hartmut und ich: Roman
DJ-Pult im Vorgarten, dass eine Straße weiter das Fernsehen sei, und dreht dafür extra die Musik runter. Wie ein Radiomoderator. Dann beginnt die Völkerwanderung, ich renne schnell vor und winke Hartmut, Frank und Pia, die bereits auf dem Dach stehen, und den Fernsehleuten von WDR, Kabel1 und RTL, dass es jetzt gleich losgehen kann, und kaum, dass die ersten hundert Leute die Straße raufstampfen, lassen Hartmut und die anderen die schwarze Folie vom Dach, sie rollt sich flappend über die ganze Front auf, sogar die Aussparung für die Haustür mit dem kaputten Wellblechdach passt sich perfekt an. Das Haus steht im Dunkeln, ist nur noch ein schwarzer Klotz, ein Borgwürfel, Kirsten kommt schreiend aus dem Haus gelaufen, da sich eben ganz überraschend ihre Wohnung verdunkelt hat, und Hans-Dieter schlurft mit DJ aus dem Anbau. Ich bin jetzt doch wieder ein bisschen stolz auf Hartmut. Christo hätte es nicht besser machen können. Die Passanten sind baff und wissen nicht, was sie sagen sollen, die gespenstische Stille passt perfekt zu dem Anblick, nur die beiden Pentagramme auf Fensterhöhe ihrer Wohnung hätten Frank und Pia weglassen können, aber das war wohl ihr Preis für die Mitarbeit an dieser Verpackung. Hartmut weiß auch nicht, wann es genug ist, und seilt sich jetzt in seiner schwarzen Hose und Kapuzenpulli vom Dach ab, um direkt vor dem Mikro der Presse zu landen und zu erklären, was es mit dem Haus auf sich hat. Kirsten hat derweil ihre Kollegen angerufen und verkündet zeternd, dass sie bald eintreffen werden. Ich sage ihr, dass sie dann erst mal durchfahren können, um illegale Lichterketten in der Straße mit den Bergbauhäusern zu beschlagnahmen. Hartmut sagt, dass er mit der Verdunkelung nicht eher aufhören werde, ehe der Lichterwahnsinn der Nachbarsbevölkerung verschwinde, und wenn er das ganze Haus in den Pforten des Nichts wie in einem schwarzen Loch verschwinden lassen müsse, er fände einen Weg. Die wenigen Leute, die sein Interview verstehen, buhen und blöken, nach und nach buhen die anderen mit, weil sie merken, wie hier die Fronten stehen. Glühwein tropft ihnen auf die Finger, sie haben Mandelzucker in den Mundwinkeln. Abschließend steigt Hartmut auf das kleine Treppchen zu unserer Haustür, steht jetzt in der einzig ausgesparten Lücke der schwarzen Verpackung und liest einige Verse aus dem Alten Testament. Die Umstehenden verstehen ihn nicht, ich höre, wie einer fragt: »Watt labert der da?«
»Irgendwas aus Herr der Ringe !«, antwortet ein anderer und dreht sich mit seinem Glühwein ab. In dem Moment kommen Kirstens Kollegen mit Blaulicht um die Ecke, das den Farbspielen des Viertels eine glitzernde Pointe hinzufügt. Hartmut geht auf sie zu, bevor Kirsten das tun kann, erklärt ihnen den Sinn seiner Kunstaktion, flüstert ihnen zu, dass er das Hauskondom natürlich wieder abnimmt und nur so tut, als ob, und fragt sie in unausweichlicher Rhetorik, ob ein Stück Kunst denn wirklich so gefährlich sei wie das Verwenden von illegaler Beleuchtungsware mit ungenügender Isolierung, die immer noch in diesem Viertel verkauft und installiert wird. Ein unmöglicher Zustand, wie schließlich auch die Beamten befinden müssen, die eine Chance wittern, ein ganzes Viertel auszuheben. Die quäkende Kirsten nehmen sie einfach mit. »Komm, Kiki«, sagen sie, »wenn das stimmt, was dein Nachbar sagt, können wir hier beim Chef einen guten Eindruck machen. Der braucht eh wieder einen besseren Draht zum Ordnungsamt. Die räumen dann mal hier auf.« Als die Leute verstehen, was die Polizei vorhat, rennen plötzlich viele in ihre Straße zurück, aufgescheucht und scheinkonzentriert wie Flüchtende bei Demos. Ich sehe sie ihre billigen chinesischen Brandgefahrketten aus dem Efeu reißen. Ich lache.
Die Kameraleute packen ein, murmeln, schlagen die Türen ihrer VW-Busse zu. »Gute Sache!«, sagt einer von ihnen und »jetzt könnte ich etwas essen« der andere. Die Leute von Kabel1 und RTL fahren und winken. Frank und Pia kommen endlich vom Dach und schmusen. Wir gehen mit den Leuten vom WDR gegenüber in die Pommesbude. Wir essen Currywürste, Hackbraten, Fritten. Im Fernsehen läuft Helmut Lottis Weihnachtstraum. Das Gasthaus selbst aber ist nicht beschmückt. Die Männer hinter dem Tresen zeigen heute mehr denn je ihre Tätowierungen aus dem Gefangenenlager. Der Fernseher ist Konzession. Für mehr haben sie zu viel erlebt, als dass es bei ihnen noch groß leuchten würde. Ihr Hackbraten ist
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