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Hartmut und ich: Roman

Hartmut und ich: Roman

Titel: Hartmut und ich: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oliver Uschmann
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großartig. Der junge Mann vom WDR sagt: »Spätestens am nächsten Advent bringen wir das in der Lokalzeit.« Er kaut. Ich bestelle Bier für uns alle.

MONEY MAKER
    »Da ist der Übeltäter«, sagt Hartmut und kniet vor der Heizung in unserem Keller wie ein Gläubiger vor seinem Gott aus Blech. Neben dem rostigen Gebilde führt ein Rohr über aussortierte Kartons an der niedrigen Decke entlang und tropft kurz vor dem Hobbit-artigen Eingang stoisch in einen alten Eimer. Es ist einer dieser Aspekte, die niemand erklären kann und die man einfach hinnimmt wie ein Bild an der Wand, das man vor lauter Gewohnheit nicht mehr sieht. Als wir einzogen, war es dem winzigen Vermieter nur einen Nebensatz wert. »Sie müssen dann ab und zu den Eimer leeren«, hat er gesagt, »das Heizungsrohr tropft, das muss noch gemacht werden.« Es klang so, wie Vormieter einem einen Defekt erklären und lustlos versichern, dass sich der Hausbesitzer schon noch darum kümmern wird. Nur, dass der Hausbesitzer selbst es war, der da neben der Heizung stand und baldige Ausbesserung gelobte, als wäre jemand anderes dafür verantwortlich.
     
    Es tropfte weiter und das Leeren des schmierigen Eimers, auf dessen Wasseroberfläche einmal die Woche Spinnenleichen und eine pelzige Staubschicht schwammen, wurde zu einem lieb gewonnenen Teil unseres Zusammenlebens. Auf den Gedanken, mal zu überlegen, was das Getropfe bedeuten könnte, kamen wir nie.
    Es tropfte.
    Die Welt drehte sich.
    Man machte Reformen.
    So war das eben.
    Doch als Hartmut eines Montags mit einem weißen Robert-Smith-Gesicht ins Wohnzimmer kam, auf ein Stück Papier starrte und dann nach und nach ohne Worte sämtliche Heizkörper abdrehte, wusste ich, dass wir das Leck hätten ernst nehmen sollen. Die Stadtwerke brachen uns das Genick, zogen sämtliche vorhandenen und ausstehenden Monatsgehälter von unserem gemeinsamen Konto und warfen uns das erste Mal in den Abgrund absoluter Geldlosigkeit.
     
    »Der elende Übeltäter«, setzt Hartmut nach und schüttelt den Kopf im Staub des Kellers. Es ist warm hier unten, wärmer als in der Wohnung, in der seit Wochen keine Heizung mehr läuft und wir uns in alte Zelt- und LKW-Planen einrollen, die wir vom Schrottplatz geholt haben. Die Fenster- und Mauerritzen sind mit Zeitungen verstopft, die Fenster mit Kartons abgeklebt. Neulich haben wir sogar versucht, im Keller zu schlafen, aber ich bekam einen schrecklichen Alptraum von Kriegseinsätzen in St. Petersburg und Hartmut kroch eine Spinne bis zum Anschlag in die Nase, was eines dieser Dinge ist, die auf jeder Angstbekämpfungshomepage für vollkommen ausgeschlossen erklärt werden.
     
    »Wer weiß, wann wir dich wieder anwerfen«, sagt Hartmut, als würde sich der Heizkörper darum scheren, klopft auf das Blech und nimmt sich die alten Kartons, deretwegen wir runtergegangen sind, um die Fenster noch dichter zu machen. Als wir die schmale, brüchige Treppe hochsteigen, steht Yannick in dem erleuchteten Türrahmen zum Treppenhaus und miaut uns an. Er wirkt wie die Silhouette einer ägyptischen Statue, die Ohren ein majestätischer Schatten, aufgerichtet, königlich lamentierend: »Wo bleibt mein Essen?« Yannick ist der Einzige, an dem wir nicht sparen, Hartmut macht ihm immer noch am Wochenende frisches Putenragout und mir schleckt er weiterhin Sahneschokoladenmandelpudding von den Fingern.
    Wir selbst leben nicht mehr so gut. Wir betreten die kalte Wohnung und Yannick springt auf die Küchenablage und erwartet sein Mahl, während ich den Schrank aufmache und nachschaue, was für Hartmut und mich noch übrig bleibt. Ich finde ein paar Fertigsuppen zum Aufgießen und zwei Müsliriegel von Plus. Die Tütensuppen stehen traurig in einer lange nicht benutzten Backform und neben den Riegeln sitzen zwei Fruchtfliegen auf den Restkrümeln ihrer Vorgänger. Die eine klebt mit dem Bein an dem unnahrhaften Sirupüberzug fest und meckert. Daneben findet sich die einzig brauchbare Nahrung, die wir noch haben: Dosenravioli. Wir haben bei einem verfallenen Kleinmarkt in Dahlhausen, der es tatsächlich fertiggebracht hat, Konserven zu führen, die zur Jahrtausendwende bereits in den Handel gegangen sind, einen Rabatt ausgehandelt.
     
    »Darby nahm den ersten winzigen Schluck aus der Flasche«, fängt Hartmut an und ich springe auf, greife mir noch schnell eine Dose und stürme ins Wohnzimmer.
    »Moment, Moment!« rufe ich, doch Hartmut sitzt schon mit Yannick auf der Couch, hat das Buch aufgeschlagen und

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