Haschisch - Konsum, Wirkung, Abhängigkeit, Selbsthilfe, Therapie
vertraut vorausgesetzt werden. Das körperliche Abhängigkeitsrisiko eines potenziellen Suchtmittels ist sehr substanzspezifisch. Dasjenige von Cannabis ist zwar nicht unkalkulierbar hoch, aber bei den heute verbreiteten Gebrauchsmustern von Haschisch und Marihuana können die Effekte auf den Körper sowie die Abstinenzsymptome bei Entzug des Mittels weitaus stärker ausgeprägt sein, als das die Anhänger von Cannabis anzunehmen gewillt sind. Das Risiko, von der Substanz seelisch oder psychisch abhängig zu werden, steigt mit der Häufigkeit des Gebrauchs, der Härte des Gebrauchsmusters sowie den individuellen Eigenheiten der Konsumursachen. Es gibt im Bereich der Suchthilfe und der Forschung Tendenzen, den Begriff der »psychischen Abhängigkeit« durch den wesentlich abstrakteren der »Sensitivierung« zu ersetzen. Die Sensitivierung beschreibt ein neurobiologisches Modell der Abhängigkeit, also ein Modell, wie die Abhängigkeit von einem psychoaktiven Stoff im Gehirn entsteht. In diesem Erklärungsmodell werden der typische Verlust der Konsumkontrolle sowie der wachsende Konsumdruck, das »Craving«, als Ausdruck einer Empfindlichkeitssteigerung gegenüber der Substanz verstanden. Die im Gehirn sich vollziehenden Veränderungen sollen auch verstehbar werden lassen, dass Drogenkonsumenten unter Suchtdruck wie neben sich stehen und sich bei ihrem ungewollten Konsum bloß noch selbst zuschauen, ohne noch gezielt in die automatisch ablaufenden Handlungsvollzüge eingreifen zu können. Das »Sensitivierungsmodell« macht Suchtverhalten in starkem Maße zu einer organischen Erkrankung des Gehirns und grenzt die menschliche »Seele« aus dem Geschehen aus.
Es ist ohne jeden Zweifel nützlich, dass wir mit den Erkenntnissen der modernen Hirnforschung viel detaillierter über die komplizierten Wechselwirkungen zwischen spezifischen Rauschdrogen sowie rezeptor- und botenstoffgesteuerten Veränderungsprozessen im Gehirn Bescheid wissen. Das gibt uns auch zusätzliche konkrete Hilfsmöglichkeiten gegenüber Suchtklienten an die Hand. Persönlich werde ich aber nie verzichten auf die Vorstellungen einer »psychischen« oder »seelischen« Abhängigkeit. Zum einen, weil sie von den betroffenen Menschen innerlich gut nachvollzogen werden können. Zum anderen, weil »Psyche« und »Seele« in meinem Welt- und Menschenbild ihren menschlich angestammten Platz behalten. Das »Herz« ist sozusagen mein wichtigstes »Arbeitssensorium«. Meine Klienten danken es mir, und so vollzieht sich Gesundung auf der Ebene von Beziehung und Verbundenheit.
Im Großen und Ganzen sind sich die Diagnosekriterien der ICD-10 und des DSM-IV recht ähnlich. Es findet sich jedoch ein entscheidender Unterschied. Das DSM-IV führt den »anhaltenden Wunsch oder erfolglosen Versuch, den Substanzgebrauch zu verringern oder zu kontrollieren« auf, der in der ICD-10 nicht enthalten ist. Dies ist jedoch ein absolut bedeutsamer Punkt in der Arbeit mit Cannabiskonsumenten, denn vom eigenen Erleben her bezeichnen sich viele Cannabisgebraucher bereits als abhängig, wenn sie gescheiterte Versuche hinter sich haben, ihren Gebrauch des psychoaktiven Stoffs dauerhaft zu begrenzen oder gar ganz aufzugeben. Eine solche Erfahrung ist das für sie entscheidende Kriterium für ihre subjektiv empfundene Abhängigkeit. Als weiteres Abhängigkeitskriterium benennen Cannabiskonsumenten das Verspüren von Entzugs- oder Abstinenzsymptomen während konsumfreier Tage.
Die Diagnose »süchtige Abhängigkeit« von Cannabis – ich doppele »Sucht« und »Abhängigkeit« bewusst – ist indes bloß eine Seite einer schillernden Medaille. Im weiten Spannungsbogen zwischen einem abstinenten, gänzlich suchtmittelfreien Leben und einem Leben in totaler Abhängigkeit von Suchtstoffen pflegen Menschen nämlich einen überaus eigenwilligen und privat geprägten Umgang mit diesem psychoaktiven Genuss- oder Rauschmittel. Diagnosesysteme tun sich damit schwer. Zwar kennen die ICD-10 bzw. das DSM-IV noch die gängigen Diagnosen »schädlicher Gebrauch« (F1x.1) bzw. »Missbrauch« psychotroper Substanzen, doch einig sind sie sich nicht. In der ICD-10 erfordert die Diagnose »schädlicher Gebrauch« eine tatsächliche Schädigung der seelischen oder körperlichen Gesundheit des Konsumenten. Etwaige negative soziale Folgen reichen für die Diagnosestellung ausdrücklich nicht aus. Bei einem Praktiker des Suchthilfesystems kann diese Vorgabe eigentlich nur verwundertes Kopfschütteln
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