Haschisch - Konsum, Wirkung, Abhängigkeit, Selbsthilfe, Therapie
auslösen. Die Betonung dieses Ausschlusses ist widersinnig. Insbesondere vor dem Hintergrund heutiger Cannabisrealitäten legen diverse (psycho)soziale Folgen des Haschisch- und Marihuanagebrauchs die Feststellung eines für den Konsumenten schädlichen Gebrauchs ausdrücklich nahe. Das DSM-IV kommt der Realität näher, wenn die Diagnose »Substanzmissbrauch« auch die sozialen Folgen des Drogengebrauchs berücksichtigt. Persönlich vertrete ich allerdings die Auffassung, dass »Missbrauch« im Gegensatz zur tauglichen Beschreibung »schädlicher Gebrauch« als diagnostische Kategorie ohnehin ungeeignet ist, und auch als definiertes Zwischenstadium auf der süchtigen Karriereleiter hat der »Missbrauch« nichts zu suchen. Ich sehe darin einen Denkfehler im System und operiere in meinem Buch »Der rote Faden in der Sucht« mit dem Begriff zweckmäßiger in der oppositionellen Dualität Genuss–Missbrauch, die das Mittel zum Zweck differenziert.
Wie hoch ist nun das Risiko von Cannabisgebrauchern, schädlichen Gebrauch zu praktizieren oder gar in hohem Maße von Cannabis abhängig zu werden? Nach Angaben der Deutschen Hauptstelle für Suchtfragen auf der Basis des Epidemiologischen Suchtsurveys 2006/08 betreiben nach den Kriterien des DSM-IV 380.000 Personen zwischen 18 und 64 Jahren einen schädlichen Cannabismissbrauch. 220.000 Personen gelten als abhängig von der Substanz. Nach Schätzungen des Epidemiologischen Suchtsurveys von 2009/10 gemäß den Kriterien der »Severity of Dependance Scale (SDS)« liegt für 1,2 % der Gesamtbevölkerung zwischen 18 und 64 Jahren eine Cannabisabhängigkeit oder problematischer Konsum der Droge vor. Das sind bis zu 750.000 Menschen. Sehr misslich bloß, dass die unter 18-jährigen jungen Leute von diesen Zahlen gar nicht erfasst werden, wissen doch sämtliche Praktiker des Suchthilfesystems, viele stationäre Einrichtungen sowie Mütter und Väter von Cannabis gebrauchenden jungen Leuten ein Lied davon zu singen, dass wir in der Altersgruppe zwischen 14 und 18 Jahren heutzutage Formen der Abhängigkeit von Cannabis finden, die wir uns noch vor wenigen Jahren so gar nicht vorzustellen vermochten. Wir müssen die jeweiligen Zahlen also in nicht genau zu beziffernder Höhe nach oben korrigieren. Speziell die jungen männlichen Cannabisgebraucher weisen immer höhere Raten von schädlichem Cannabisgebrauch und von ausgeprägter Abhängigkeit auf. Das Cannabisproblem ist im Wesentlichen männlicher Prägung.
Zwei nachvollziehbare Trends erklären die nachdenklich stimmende Entwicklung, dass die Zahl der cannabisbezogenen »Störungen« nach wie vor ansteigt, selbst wenn sich die Anstiegskurve aktuell gegenüber den zurückliegenden Jahren etwas abgeflacht hat: zum einen die gegenüber früheren Konsumentengenerationen härter gewordenen Gebrauchsformen der Droge Cannabis, zum anderen das stetig sinkende Einstiegsalter in den Rauschmittelgebrauch. Je jünger ein Halbwüchsiger die Bekanntschaft mit Haschisch und Marihuana macht, desto größer ist sein Risiko, damit in Schwierigkeiten zu geraten. Je später umgekehrt ein junger Mensch Cannabis probiert, desto wahrscheinlicher wird ihm ein Umgang mit der Droge gelingen, der wenig Anlass zu übertriebener Sorge bietet. Ein 13-Jähriger kann Haschisch schwerlich einen angemessen begrenzten Platz in seinem Leben einräumen. Einige Jahre älter kann er dagegen problemlos in der Lage sein, einen risikoarmen und absolut seiner Kontrolle unterliegenden Umgang mit dem Mittel zu pflegen.
Geraten Cannabisnutzer in Schwierigkeiten mit dem Mittel ihrer Wahl, sind die jeweils zur Anwendung gebrachten Diagnoseschlüssel bestenfalls pragmatische Hilfsinstrumente in den Strukturen des psychosozialen Suchthilfe- oder des medizinisch-therapeutischen Leistungssystems. Das Wesen der süchtigen Abhängigkeit, die höchst eigenwillige Dynamik des süchtigen Geschehens sowie das Besondere der süchtig getönten Beziehungsstrukturen erfassen sie nicht. Und schon gar nicht sind sie dazu dienlich, der inneren Landkarte oder dem Seelenkompass eines individuellen Menschen gerecht zu werden, welcher Cannabis einen bedeutsamen Platz in seinem Leben einräumt.
Zuverlässige Einschätzungen zum Stand eines Konsumenten auf der Abhängigkeitsleiter lassen sich pragmatisch am besten auf der Grundlage verhaltensbezogener Kriterien treffen, wie sie uns die Benutzer der Rauschdroge mit ihren Selbsteinschätzungen selber nahelegen. In der praktischen Arbeit halte ich
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