Haschisch
Leib das Gefäß unseres Unrats war, hielt der Ewige ihre Seele fest und machte ihr Leben unverwundbar!«
Den jungen Leuten war, als peitsche ihnen einer in die Kniekehlen und zwänge sie nieder. Am Boden liegend wimmerten sie klägliche Gebete. Teresa taumelte immer langsamer, das Haupt fiel ihr vornüber, die Arme erschlafften, und sie sank zusammen wie die Flammen der Kerzen, die rings niedergebrannt waren. Aus den Ecken der dunklen Kirche aber, hinter den Vorhängen der Beichtstühle, von dem weißen Teppich stieg verzweifeltes Stöhnen und Beten der Reue empor.
*
Der Abgrund meines Lebens hatte sich so weit geöffnet, daß es mir möglich war, bis auf den Boden zu blicken. Ich sah eine Grenze, wo ich Unendlichkeit vermutet hatte. Die menschliche Einbildungskraft, das Spiel des Verstandes zeigte sich erschöpft, es konnte nicht weiter getrieben werden. Mir war, als sei ich auf dem Weg der Erkenntnis mit der Stirn an eine dunkle Wand gestoßen, die nicht weichen wollte, wie sehr ich mich dagegen stemmte. Konnte ich einen deutlicheren Beweis verlangen, daß ich auf dem Irrweg war, daß ich mich verlaufen hatte? Und ich kehrte um.
Die Botschaft
Ich ging in den Straßen der Stadt, wo ich wohnte. Es war mir bewußt, daß ich mich meiner Wohnung näherte ... Ja, ich hatte Haschisch genommen. Wo war eigentlich mein Rausch hingekommen? Ich fühlte mich ruhig und zufrieden. Nun ging ich nach Hause. Dort würde ich nie Haschisch oder Opium genießen. Man kann ja nicht wissen, was von den Phantasien an den Möbeln hängen bleibt. Meine Zimmer mußten rein sein. Da empfing ich eine Frau, die ich liebte, da arbeitete ich. Manchmal kamen Freunde, alles war dort nach meinem Geschmack. Jeden Gegenstand hatte ich mit Bewußtsein irgendwo gekauft ... oder er war ein Geschenk ... oder ein Erbstück ... meine vollständige Lebensgeschichte hing an diesen Möbeln, meine Reisen ... eine Art Tagebuch. Mit einem Wiegenbett fing es an, darin lagen einst meine Spielsachen. Dann kam ein alter Sessel, auf dem früher abends mein Vater saß und erzählte ... so ging es weiter. Da war eine Lampe, bei deren Schein ich mich auf eine Prüfung vorbereitet hatte, und nun gar die Photographien und Bilder! Dann ein altes chinesisches Tintenfaß, das meine erste Geliebte in entzückender Wut zerbrochen, und später ein geschickter Knabe wieder zusammengesetzt hatte. Alles war lebendig in dieser Wohnung. Dorthin sollte ich regellose Haschischphantasien dringen lassen? Oft hatte ich mich geweigert, spiritistische Sitzungen darin abzuhalten. Nichts Fremdes über meine Schwelle! Ich war eigentlich glücklich, daß ich solch ein Asyl mitten in dem unsauberen Leben des Jahrhunderts hatte.
Eben wollte ich eine Straße überschreiten, als ich mich von einer Dirne in geradezu roher Art angestoßen fühlte. Sie sah ältlich und fett aus. Ihre Lippen waren in jenem Lächeln erstarrt, das wie die Versteinerung einer von Anfang an geheuchelten Empfindung scheint. Während andere ihresgleichen mit einem gewissen Kennerblick sofort den für ihre Absichten Ungeeigneten unterscheiden und seines Weges ziehen lassen, wollte mich diese gar nicht freigeben. Sie drängte sich trotz meiner heftigen Abwehr fortgesetzt an mich heran und sprach auf mich ein. Ihre schlaffen Wangen waren mit Schminke geradezu überladen. Es fiel mir auf, daß das lange Elend diesem puppenhaften Gesicht nicht den geringsten Ausdruck zu verleihen imstand war, nicht einmal einen besonders bösartigen oder lasterhaften. Ohne zu antworten ging ich weiter, aber meine Gedanken konnten nicht von ihr loskommen. Was für Männer mögen ihr wohl folgen? Dieses Nichts hatte ja nicht einmal die Anziehungskraft des Schmutzes, der Gemeinheit. Was für eine Sinnlosigkeit – einem das anzubieten! Aufweiche Art sollte wohl jemand dazu kommen, sich mit ihr zu befassen? Aus Zufall mußte sie Dirne geworden sein, ohne Abscheu, ohne Neigung, so wie die meisten Menschen ihren Beruf wählen, eine Spießbürgerin der Halbwelt, ein Leib, der mechanisch als Weib funktionierte.
»Das ist ja der Tod«, dachte ich und beschleunigte willkürlich den Schritt, um nach Hause zu kommen. Das Wesen war verschwunden, oder ich dachte vielmehr, es habe sich in die Luft aufgelöst und erfülle nun alle Straßen, liege über den Häusern, über den Bäumen, über den paar Menschen, die mir in der ersten Morgendämmerung begegneten. Die Pariser Straßen, deren selbstverständliche, einfache Eleganz ich sonst so gern hatte, kamen
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