Hasenherz
möglich, du hast doch Dinger gehabt wie zwei Fuß bälle.»
Sie sieht ihn schräg an, wittert seinen Anschlag. «Glaub ja nicht, daß du damit spielen kannst.» Aber er meint, ein Lächeln wahrgenommen zu haben.
Nelson geht willig, leise vor sich hinwimmernd zu Bett, wie immer, wenn ihm nicht gut ist. Seine Schwester war eine harte Belastung für ihn an diesem Tag. Ernst und schwer liegt sein brauner Kopf auf dem Kissen. Hungrig schiebt er sich die Flasche in den Mund, und Rabbit bleibt bei ihm stehen, sucht, was man nie findet: das Mittel, durch das man dem andern etwas von jener vergänglichen Last mitteilen, übertragen kann, die unheilvoll und liebend zugleich uns auferlegt ist, flüchtig wie die Berührung eines Pinsels. Eine unerklärbare Reue bewölkt sein Inneres, eine Reue jenseits alles Zeitlichen und Räumlichen, eine Trauer darüber, daß er in einer Welt lebt, wo ein braunhaariger kleiner Junge dankbar sich ins Bettchen sinken läßt und am Gummiverschluß einer Milchflasche saugt. Er legt seine Hand auf Nelsons vorgewölbte Stirn. Schlaftrunken versucht das Kind, sie abzuschütteln, belästigt wirft es den Kopf hin und her, und Harry nimmt seine Hand weg und geht ins andere Zimmer zurück.
Er überredet Janice dazu, etwas zu trinken. Er mixt ihr den Whisky sogar selber, obwohl er gar nichts davon versteht: halb Whisky, halb Wasser. Sie sagt, es schmecke scheußlich. Aber nach einer Weile trinkt sie es doch.
Als sie dann im Bett liegen, glaubt er, eine Veränderung wahrzunehmen an ihrem Fleisch. Er hat das Gefühl, als komme ihr Körper seinen Händen entgegen, als schmiege er sich in seine Handflächen, und das ist ein köstlicher Zusammenklang. Mit jeder Faser ihres Leibes unter dem kurzen Nachthemd, bis hinauf zur Kuhle in ihrem Hals, ist sie da für ihn. Sie liegen auf der Seite und sehen einander an. Er reibt ihr den Rücken, erst sanft, dann härter, er preßt sie an sich und er bezieht ein so hohes Kraftgefühl aus ihrer Fügsamkeit, daß er sich auf einen Ellenbogen aufrichtet, um über ihr zu sein. Er küßt ihr dunkles, hartes Gesicht, über dem ein Film von Alkoholdunst liegt. Sie kehrt ihm nicht den Kopf zu, aber er nimmt das nicht als Ablehnung; es ist nur nicht angenehm, dauernd auf ein Profil niederzustoßen. Er erstickt die Verstimmung, die in ihm aufsteigt, und versucht, sich wieder an ihre Langsamkeit zu gewöhnen. Er ist stolz auf seine Geduld und fährt fort, ihr den Rücken zu reiben. Aber ihre Haut gibt nichts zu erkennen, und auch ihre Zunge nicht. Spürt sie ihn überhaupt? Undurchschaubar liegt sie unter ihm, eine dunkle Form, deren Chemie sich allen Vorstellungen verschließt, von keinem Gedanken zu erreichen ist. Schürt er einen Funken? Sein Handgelenk schmerzt. Er riskiert es, die beiden Knöpfe vorn an ihrem Nachthemd zu öffnen, und er schiebt den Stoff weg und legt ihre Brüste bloß im weißen Widerschein des Bettes, und ihr warmes Fleisch fließt gegen seine nackte Haut hin. Soweit hat sie sich ihm schon unterworfen, und er ist glücklich und denkt, das sei alles sein Verdienst. Er ist ein guter Liebhaber. Er streckt sich in der Wärme des Bettes aus und zieht die Schleife oben an der Pyjamahose auf. Sie ist rasiert worden und kratzt, und so läßt er sich weiter unten nieder, auf der Mullbinde. Diese ungewohnte Textur hier, dies spürbare Zeichen ihrer inneren Wunde gibt ihm eine zarte, behutsame Zuversichtlichkeit, und so ist er vollkommen vernichtet, als plötzlich ihre Stimme, diese dünne, ras pelnde, törichte Mädchenstimme, dicht an seinem Ohr sagt: «Harry, merkst du nicht, daß ich gern schlafen möchte?»
«Warum hast du mir das nicht vorher gesagt?»
«Ich weiß nicht. Ich konnte ja nicht wissen ...»
«Was konntest du nicht wissen?»
«Ich wußte nicht, was du vorhattest. Ich dachte, du wolltest nur nett zu mir sein.»
«So, und dies ist also nicht nett.»
«Nein, es ist nicht nett, wenn ich gar nicht imstande dazu bin.»
«Du bist aber zu etwas imstande.»
«Nein, ich kann nicht. Auch, wenn ich nicht müde wäre und völlig ausgehöhlt von Rebeccas Geschrei den ganzen Tag, auch dann könnte ich nicht. Nicht, bevor sechs Wochen um sind. Du weißt das.»
«Schon, ich weiß, aber ich hab gedacht ...» Er ist in furchtbarer Verwirrung.
« Was hast du gedacht?»
«Ich hab gedacht, du könntest mich trotzdem ein bißchen lieben.»
Nach einer kleinen Pause sagt sie: «Ich liebe dich doch.»
«Nur einen Augenblick, Jan, nur einen winzigen
Weitere Kostenlose Bücher