Hasenherz
nicht die Sachen wegwerfen und wirklich rennen soll. Wenn er sich verstecken könnte in der alten Eisfabrik! Aber sie ist noch einen Häuserblock weit weg. Er denkt, daß Ruth jetzt fertig ist mit dem Geschirr und auf ihn wartet, drüben auf der anderen Seite des Bergs, der blau in die Bläue steigt.
Wie ein Haifisch stille Wasserfalten vor sich her stößt, so erzeugt die grüne Autoschnauze Luftwellen, die sich in Rabbits Kniekehlen bre chen. Je schneller er geht, desto härter schlagen die Wellen gegen ihn. Hinter ihm piepst eine kindlich schrille Stimme: «Verzeihen Sie bitte, sind Sie Harry Angstrom?»
Mit dem jähen Gefühl, eine Lüge auszusprechen, dreht Rabbit sich um und preßt, beinahe flüsternd, ein «Ja» hervor.
Der blonde junge Mann mit dem weißen Kragen läßt sein Auto schräg über die Straße gleiten, an den Kantstein, zieht die Handbremse, stellt den Motor ab und parkt so auf der falschen Straßenseite; oben drein steht das Auto schief. Merkwürdig, daß Geistliche geringfügige Regeln oft nicht einhalten. Rabbit erinnert sich, daß Kruppenbachs Sohn die Stadt mit einem Motorrad unsicher gemacht hat. Das hat ihm immer sehr imponiert. «Und ich bin Jack Eccles», sagt dieser Geistliche hier und lacht überflüssigerweise auf der einen Silbe. Der weiße Schräg strich, der ihm zwischen den Lippen hängt, eine unangezündete Ziga rette, gibt zusammen mit dem korrespondierenden Kragen eine komi sche Komposition im Wagenfenster. Er steigt aus dem olivgrünen, viertürigen Achtundfünfziger-Buick und streckt seine Hand aus. Um einzuschlagen, muß Rabbit sein umfangreiches Kleiderbündel auf dem Grasstreifen zwischen dem Fußsteig und dem Kantstein absetzen.
Eccles’ Händedruck, nachdrücklich, routiniert und kräftig, scheint Symbol für eine Umarmung zu sein. Einen Augenblick lang fürchtet Rabbit, er werde nie wieder freikommen. Er fühlt sich gefangen, ahnt lange Erklärungen, Verwirrungen, Gebete, Versöhnungen – wie naß kalte Wände steigt dies alles vor ihm auf. Seine Haut prickelt vor ohnmächtiger Wut. Sein Häscher ist zäh, das spürt er.
Der Geistliche ist ungefähr so alt wie Rabbit, vielleicht ein bißchen älter, und ein gut Teil kleiner. Aber durchaus nicht klein; nutzlos muskulöse Glieder verbergen sich unter seiner schwarzen Soutane. Kantig steht er da, sein Brustkasten wölbt sich nach vorn. Er hat lange rötliche Augenbrauen, die zwischen sich, über dem Nasenrücken, eine besorgte Falte aufgeworfen haben, und sein Kinn ist wie ein kleiner blasser, sich zuspitzender Knauf unter seinem Mund. Obwohl er so vergrämt aussieht, hat er etwas Freundliches und Törichtes.
«Wohin gehn Sie?» fragt er.
«Häh? Nirgendwo hin.» Rabbit ist von des Mannes Soutane abge lenkt. Die sieht nur schwarz aus. In Wirklichkeit ist sie blau, von einem nüchternen, aber eleganten, leichten Mitternachtsblau. Während die Weste oder das Lätzchen oder wie immer das heißt, so schwarz ist wie Ofenruß. Die Anstrengung, die Zigarette zwischen den Lippen festzuhalten, verdreht Eccles’ Lachen zu einem Schnauben. Er schlägt sich vorn gegen die Soutane. «Haben Sie zufällig ein Streichholz bei sich?»
«Oje, das tut mir leid. Ich hab's Rauchen aufgegeben.»
«Da können Sie mehr als ich.» Er schweigt und denkt nach, dann sieht er Harry an, und seine Brauen wölben sich besorgt. Seine braunen Augen werden rund und bleich wie Glas, weil sie so weit aufgerissen werden. «Kann ich Sie ein Stück mitnehmen?»
«Nein. Zum Kuckuck. Lassen Sie nur.»
«Ich würde mich gern mit Ihnen unterhalten.»
«Nein, das wollen Sie nicht wirklich, oder?»
«Doch, wirklich. Sehr sogar.»
«Na denn, okay.» Rabbit nimmt seine Sachen wieder auf und geht vorn um den Buick herum und steigt ein. Im Wageninnern riecht es durchdringend nach Plastik und nagelneuem Auto; Rabbit saugt eine kräftige Nase voll ein und versucht, seine Angst zu kühlen. «Handelt es sich um Janice?»
Eccles nickt und sieht angestrengt durchs Rückfenster hinaus, als er sich vom Kantstein abstößt. Seine Oberlippe ragt über die untere; müdviolette Schatten liegen unter seinen Augen.
«Wie geht es ihr? Was hat sie gemacht?»
«Sie scheint schon wieder viel vernünftiger zu sein. Sie ist heute morgen mit ihrem Vater in der Kirche gewesen.» Sie fahren die Straße hinunter. Eccles hat nichts mehr hinzuzufügen, er starrt einfach nur geradeaus durch die Windschutzscheibe und blinzelt dann und wann. Er drückt auf den Zigarettenanzünder
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