Hasenherz
beklagenswerteste Märtyrerin seit der heiligen Johanna.»
Eccles muß wieder lachen. Aber ist Janice das nicht wirklich? «So, äh – was meint denn Mr. Angstrom, wie Harry sich verhalten soll?»
«Zu Kreuz kriechen, was sonst? Und das wird er auch tun, der arme Junge. Im Grunde ist er genau wie sein Vater. Hat ein zu weiches Herz. Darum regieren vermutlich auch die Männer die Welt. Weil sie nur aus Herz bestehn.»
«Das ist ein ungewöhnlicher Gesichtspunkt.»
«So? Das bringt die Kirche einem doch bei. Männer sind ganz Herz, und Frauen sind ganz Körper. Ich weiß nicht, wer dann den Verstand haben soll. Gott wahrscheinlich.»
Er lächelt und überlegt, ob die lutherische Kirche wohl allen ihren Anhängern solche Ideen in den Kopf setzt. Luther hat ja selber ein bißchen dazu geneigt, gleichsam in komischem Ingrimm auf Halb wahrheiten herumzureiten. Vielleicht beginnt dort der ganze schwarze, hanebüchene Widersinn des Protestantismus. Eine tiefe, fundamentale Hoffnungslosigkeit muß in einem solchen Gemüt herrschen. Und welche Hybris, das Besondere derart zu übergehen. Aber wer weiß; er hat viel von der Theologie vergessen. Es kommt ihm in den Sinn, daß er Angstroms Pastor einmal aufsuchen sollte.
Mrs. Angstrom nimmt den Faden wieder auf, an dem sie vorhin schon gesponnen hat. «Sehn Sie sich meine Tochter Miriam an, sie ist so alt wie ein Rabe und ist es immer schon gewesen. Ich hab mir nie Sorgen zu machen brauchen ihretwegen. Ich weiß noch, wenn wir früher sonntags spazierengingen, zur Kiesgrube hin, hatte Harold immer Angst – zwölf war er damals – ja, da hatte er immer Angst, daß Miriam reinfallen könnte. Ich wußte, daß sie nicht reinfallen würde. Passen Sie auf, die wird nicht aus Mitleid heiraten wie der arme Hassie, auf die wird nie die ganze Welt eindreschen wie auf ihn jetzt, wo er versucht, freizukommen.»
«Ich finde ganz und gar nicht, daß jemand auf ihn eindrischt. Janices Mutter und ich, wir haben uns gerade darüber unterhalten, daß genau das Gegenteil der Fall ist.»
«Ach, glauben Sie doch das nicht. Dies Mädchen kriegt mich nie und nimmer rum. Sie hat alle auf ihrer Seite, vom Präsidenten angefangen. Man wird ihn schon noch weich machen. Sie werden ihn weich machen. Und da kommt noch einer.»
Die Haustür ist aufgegangen, so leise, daß nur Mrs. Angstrom es hört. Ihr Mann kommt in die Küche, er trägt ein weißes Hemd und einen Schlips, aber seine Fingernägel sind schwarz gerändert: er ist Drucker. Er ist ebenso groß wie seine Frau, wirkt aber kleiner. Voller Selbstmißbilligung bewegt er die Lippen über den schlecht sitzenden falschen Zähnen. Er hat dieselbe Nase wie Harry: einen akkuraten, glatten Kopf. «Guten Tag, Pater», sagt er. Entweder ist er früher mal katholisch gewesen, oder er ist unter Katholiken aufgewachsen.
«Mr. Angstrom, ich freue mich, Sie kennenzulernen.» Die Hand des Alten ist oben ganz rauh, ihre Innenfläche aber ist weich und trocken. «Wir haben uns gerade über Ihren Sohn unterhalten.»
«Das Ganze ist entsetzlich für mich.» Eccles glaubt ihm. Earl Angs trom sieht grau und ausgehöhlt aus. Diese Affäre hat ihm hart zuge setzt. Er preßt die Lippen zusammen über seinen rutschenden Zähnen, als habe er Magenbeschwerden und kämpfe gegen eine aufsteigende Säure an. Er wird von innen her aufgefressen. Aus seinem Haar ist alle Farbe gewichen, und seine Augen sind blau wie billige Tinte. Er ist zeit seines Lebens ein aufrechter Mann gewesen und hat dieses sein Leben mit dem Cicero-Winkelhaken gerichtet und den Rahmen dann fest zugezogen, und als er am Morgen zurückgekehrt ist an seinen Arbeits platz, sind alle Drucklettern durcheinandergeraten.
«Er stellt sich fürchterlich an wegen des Mädchens, so, als ob sie die Muttergottes wär», sagt Mrs. Angstrom.
«Das ist nicht wahr», sagt Angstrom milde und setzt sich im weißen Hemd an den emaillierten Küchentisch. Die vier Teller, die Tag für Tag, viele Jahre hindurch, draufgestellt worden sind, haben dunkle Spuren in die Glasur geprägt. «Ich kann nur nicht verstehn, wie Harry so was anrichten konnte. Er war immer so für Ordnung als Junge. Er war nie liederlich wie die meisten andern. Er war sauber und ordentlich.»
Mit rissigen, seifigen Händen macht Mrs. Angstrom sich daran, ihrem Mann Kaffee zu kochen. Und dieser kleine Dienst, den sie ihm erweist, scheint die beiden in Einklang miteinander zu bringen: plötz lich fangen sie an, wie viele alte Ehepaare, die ganz
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