Hass
Sie dazu in der Lage?«
»Natürlich spreche ich mit ihr. Ich habe seit Jahren keine hübsche Frau mehr gesehen, und so schöne Haare sogar noch nie in meinem Leben. Meine Mama färbte sich die Haare rot, aber das hat man gesehen, wissen Sie? Aber Ihr Haar, Agent Sherlock … Sind Sie verheiratet, schöne Frau?«
Sherlock beugte sich zu dem schmalen Gesicht mit den stark ausgeprägten Wangenknochen und der blassen, seltsam faltenlosen Haut hinunter. Ein kranker, alter Mann, dachte sie. Interessant, wie das die Realität dessen, was er getan hat, verblassen ließ.
»Seien Sie vorsichtig, Mr James, Agent Savich ist mein Mann.«
Courtney James sagte: »Ach, er kann doch nicht eifersüchtig auf mich sein. Ich bin nur ein alter Mann, der bald den Löffel abgibt. Vielleicht sollte ich ein wenig bemitleidenswerter dreinschauen – ich könnte die Sauerstoffmaske wieder aufsetzen. Ist ein großer Kerl, nicht? Sieht aus, als würde er ganze Ochsen zum Frühstück verspeisen.«
»Nein«, sagte Savich. »Ich esse Cornflakes, wie mein kleiner Sohn.«
»Ist das nicht süß?« Sein erfahrener Blick wanderte von einem zum anderen und wieder zurück. »Sie wollen mit mir sprechen? Worüber? Rollen Sie meinen Fall etwa wieder auf? Wollen Sie mich hier rausholen?«
»Das wäre nett«, sagte Savich, »aber das wird wohl nicht passieren.«
»Die Sache ist nur die, dass ich Ihnen nicht sagen kann, wo all die Leichen vergraben sind, weil ich die Leute gar nicht umgebracht habe. Ich habe die Pallacks getötet, das stimmt schon. Und Gott weiß, es tut mir noch immer leid, dass ich geschnappt wurde. Tatsache ist aber: Sie haben es verdient. Das waren zwei richtige Arschlöcher, besonders sie. Schlimmer noch als ihr Mann und ihr Sohn.« Er seufzte laut. »Darf ich Ihre Haare einmal berühren, Agent Sherlock? Mann, das ist ja ein toller Name, den Sie da haben.«
»Danke, Mr James.« Sherlock wich nicht zurück, als der alte Mann mit seiner dünnen, ädrigen Hand über ihr volles, kräftiges Haar fuhr.
Direktor Rafferty trat von einem Fuß auf den anderen und fragte sich zweifelsohne, warum sie diese Spielchen spielten, aber hielt sich dennoch zurück, was Savich sehr schätzte.
Savich sagte: »Na gut, Mr James, Sie haben jetzt genug mit meiner Frau geflirtet. Das reicht, oder ich muss Ihnen ernsthaft wehtun.«
Der alte Mann grinste breit und zeigte dabei zwei Reihen weißer Zähne, die aussahen, als seien es seine eigenen. »Sie sind ein Glückspilz«, sagte er. »Sie wollen mich also etwas fragen. Irgendetwas ist passiert. Was ist los?«
Savich sagte: »Wir würden gerne alles über die Pallacks erfahren, woran Sie sich noch erinnern. Über die Eltern und den Sohn Thomas. Sie sagten, Mrs Pallack sei schlimmer gewesen als ihr Mann und der Sohn. Was genau meinen Sie damit?«
Courtney James starrte die kahle weiße Wand an. »Das ist schon sehr lange her, aber manche Dinge bleiben unauslöschlich wie Fotografien im Hirn gespeichert. Ich sehe immer noch ihren Gesichtsausdruck, als ich zum ersten Mal zustach. Halt, ich muss anders anfangen. Margaret Pallack war die hübscheste Frau, die ich je gesehen hatte, und sie war sich dessen sehr bewusst. Sie war schon fast sechzig und Pallack fünfundsechzig, als ich sie tötete. Aber wissen Sie was? Sie war immer noch eine Schönheit, groß und schlank – sie hatte ihren eigenen Fitnessraum und trainierte jeden Tag. Sie hatte schönes dunkles Haar, das sich in Wellen an ihre Wangen schmiegte. Ein Fremder hätte sie nicht einen Tag älter als vierzig geschätzt. Und wie sie das ausgenutzt hat …«
»Warum haben Sie eine Frau getötet, die Sie doch ganz offensichtlich bewunderten?«
»Also, schöne Frau, wenn Sie schon fragen: Sie hat mit mir geschlafen. Das habe ich der Polizei gegenüber nie zugegeben, diesen geilen Scheißkerlen. Ich habe ihnen ohnehin nichts erzählt, weil sie sich in den Kopf gesetzt hatten, ich sei dieser teuflische Psychopath, der alles, was sich bewegt, niedermetzelt. Aber jetzt macht es mir nichts mehr aus, dass Sie es wissen. Um ehrlich zu sein, ich hatte viele Gründe, eine ganze Wagenladung voll.
Ich glaube, dieser Serienmörderunsinn war auf Thomas’ Mist gewachsen. Thomas war ein echtes Muttersöhnchen, der hing ihr ständig am Rockzipfel. Ich erinnere mich, dass der Staatsanwalt immer Verweise auf ›andere Personen‹ und ›andere Verbrechen‹ und so etwas einschmuggeln wollte, aber dafür hatten sie keine Beweise. Ja, ich wette, es war Thomas. Der
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