Hass
Washington Square.
Dix las schnell noch die anderen zwei Briefe. Keiner von ihnen war datiert, also wusste er nicht, in welchem Abstand sie verschickt worden waren. Insgesamt beliefen sich die Forderungen auf zwei Millionen Dollar. Nachdenklich betrachtete er den zweiten Brief und las die letzten Zeilen mehrmals durch:
Wir hatten doch so eine schöne Zeit zusammen, oder? Aber August hat nie geglaubt, dass ich gierig bin, selbst wenn andere das behaupteten. Sie werden nicht mehr von mir hören.
Aber natürlich hatte Pallack wieder Post von dem Erpresser bekommen. Der dritte Brief war kurz und wies Pallack einfach an, eine Million Dollar in einer Aktentasche an der ersten Schmuckauslage neben dem Eingang von Neiman Marcus abzustellen, wieder um zwölf Uhr mittags. Er war nicht unterschrieben. Aber der Erpresser hatte Hasta luego daruntergesetzt, was auch immer das bedeuten mochte. Noch mehr Erpresserbriefe? Oder war dies die letzte Forderung gewesen?
Dix las sie alle noch einmal durch und bemerkte, dass der Ton, die angedeutete Intimität der Worte, ihn störte. Dann wurde ihm blitzartig alles klar – natürlich, sie sollten so klingen, als hätte Julia Ransom sie geschrieben.
Alles passte zusammen. Pallack hatte Makepeace angeheuert, um Julia zu töten, weil er glaubte, sie würde ihn erpressen. Aber Dix glaubte ihr, wenn sie sagte, dass sie nie irgendwelche Tagebücher gesehen und sogar Zweifel habe, dass sie wirklich existierten. Also hatte Pallack unrecht gehabt.
Wer war es dann? Dix brauchte nur eine Sekunde, bis er sich sicher war, dass es nur ein anderes von Pallacks Medien sein konnte, wahrscheinlich war es kein anderer als Soldan Meissen gewesen.
Meissen und August Ransom hatten sich lange gekannt. Meissen muss von den Tagebüchern gewusst, sie vielleicht sogar einmal gesehen haben. Nachdem August Ransom ermordet wurde, hätte er in Julias Haus gelangt sein können, wo er die Bücher gestohlen und eine Goldgrube entdeckt hatte. Er hatte mit der Erpressung angefangen und dann Pallack als Klienten angelockt.
Dix fragte sich, was Pallack wohl gedacht hatte, als er herausfand, dass Soldan Meissen ihn nicht nur erpresst hatte, sondern ihn auch glauben machte, er könne mit seinen Eltern sprechen, indem er Notizen aus den Tagebüchern verwendete. Dix erinnerte sich genau an das Gespräch mit Pallack, das Savich aufgezeichnet hatte. Er sprach davon, dass er schon ähnliche Unterhaltungen mit seinen Eltern geführt habe, und berichtete auch von einem Déjà-vu-Erlebnis.
Wurde Ihnen alles in dem Moment klar, in dem Sie diese Erkenntnis aussprachen, Pallack? Haben Sie da gemerkt, dass Meissen Sie hinterging? Das ganze Geld war ihm nicht genug. Er hat Sie auch noch als Klienten gewonnen und Sie zweimal in der Woche lächerlich gemacht.
Ob Pallack wohl die letzte Million gezahlt hatte, bevor er Meissen ermorden ließ? Oder hatte er sie stattdessen Makepeace gegeben? Die Wut, die Pallack gefühlt haben musste. Er hatte schnell gehandelt, dachte Dix, und Makepeace ebenso. Wie günstig, dass Pallack seinen eigenen Profikiller an der Hand hatte.
Dix blätterte das erste Tagebuch durch und suchte nach den Sitzungen mit Thomas Pallack. Er fand jedoch nichts Belastendes, nur Erinnerungen. Also öffnete er das letzte Notizbuch und schlug die letzte Seite auf. Er las:
Thomas hat Angst vor mir. Ich habe versucht, mit ihm darüber zu reden, aber er wehrt ab. Ich spüre, dass er es zutiefst bereut, über die andere Frau gesprochen zu haben. Das hat er nur, weil seine Mutter ihn ständig fragte, wo sie war und was er ihr angetan hatte. Und dann lachte seine Mutter so schrill, dass ich Gänsehaut bekam. Er sagte ihr, er hätte eine Frau kennengelernt, die ihre Zwillingsschwester sein könnte, und er liebe sie, seit er sie zum ersten Mal gesehen hatte. Aber sie wollte ihn nicht. Er musste … an der Stelle schüttelte Thomas den Kopf, warf mir einen Blick zu und schwieg, aber natürlich hatte er schon zu viel gesagt, dessen war er sich bewusst.
Er nimmt immer noch Befehle von einer Frau entgegen, die seit dreißig Jahren tot ist. Obwohl ich kein Psychologe bin, habe ich ihm gesagt, dass diese Verbindung zu seiner Mutter ungesund ist. Ich habe ihm geraten, die Toten in Ruhe zu lassen und in die eigene Zukunft zu blicken. Er wurde ungehalten.
Das war der letzte Eintrag.
Dix konnte kaum atmen. Christie, dachte er, du warst diese Frau. Das Wissen darum weckte den Wunsch in ihm zu weinen. Er hatte gewusst, dass sie tot war,
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