Hass
Frau nach Ohio.«
Cheney fragte: »Wo wurde August begraben?«
»In Connecticut, außerhalb von Hartford. Da ist er geboren und aufgewachsen. Seine Mutter lebt immer noch dort. Er wollte eingeäschert werden, das stand sogar im Testament, also habe ich es so veranlasst. Seine Mutter hat seitdem nicht mehr mit mir gesprochen, weil sie wollte, dass er neben seinen Geschwistern und dem Vater begraben wird.«
Nach einem Moment der Stille nahm Cheney wieder ihre Hand. »Julia, eins muss ich jetzt ganz klar sagen: Ich weiß, dass Sie Ihren Mann nicht umgebracht haben, also machen Sie sich deswegen bitte keine Sorgen, ja?«
Voller Dankbarkeit lächelte sie ihn an und beugte sich zu ihm herüber. »Raten Sie mal, wie Wallace Tammerlane in Wirklichkeit heißt.«
»Bernie Schwartz?«
»Schlimmer.«
Er grinste ihr ins strahlende Gesicht. »Ich passe.«
»Actis Hollyrod.«
»Kommen Sie schon, Julia. Actis? Was ist das denn für ein Name?«
»Seine Eltern müssen bei seiner Geburt unter Drogen gestanden haben.«
»Irgend so etwas. Actis. Einem Kind so etwas anzutun.«
»Und noch was, Cheney. Wallace mag junge Mädchen.«
»Viele alte Männer mögen das. Oder wollen Sie damit andeuten, er sei ein Pädophiler?«
»Keineswegs, aber er scheint von Personen des weiblichen Geschlechts sehr angetan zu sein, die noch nicht ganz das Wahlalter erreicht haben.«
»Sind Sie sich da sicher? Oder sind das Gerüchte aus der Hellseherwelt? Vielleicht haben seine Kollegen ja seine Gedanken gelesen und gesehen, was er am liebsten tun würde?«
Sie legte den Kopf zur Seite, und das Haar fiel ihr leicht ins Gesicht. »Höre ich da etwa ein wenig Sarkasmus heraus?«
»Ich bemühe mich ja, dem Ganzen offen gegenüberzustehen. Seit wann bevorzugt Wallace denn jüngere Frauen?«
»Da bin ich mir nicht sicher. Hoffentlich erst seit dem Tod seiner Frau. August fand das komisch. Er sagte immer, dass ich für Wallace zwar schon meine besten Jahre hinter mir habe, er selbst mich aber hoch schätze.«
Vielleicht weil sie den Kopf in einem bestimmten Winkel hielt, bemerkte Cheney plötzlich, wie ihre hellgrünen Augen leuchteten. Die blasse, nach innen gekehrte Frau, die er letzte Woche aus dem Wasser gezogen hatte, hatte sich verändert. Sie hatte sich selbst gerettet. Sie war immer noch schmal, aber nicht zerbrechlich oder ausgemergelt – sie sah elegant und kräftig aus. Sie hätte glatt pulsieren können, so sehr in der Gegenwart verankert, so konzentriert und engagiert war sie. Ja, das war es, sie war kein hilfloses Opfer mehr.
Er spürte, dass er sie wirklich mochte, dass er auf keinen Fall wollte, dass sie einem Profikiller zum Opfer fiel.
Sie schnippte vor seinem Gesicht mit den Fingern. »Erde an Cheney, sind Sie da?«
»Ja. Also, sind das alles Gerüchte über Wallace’ junge Groupies?«
»Nein. Ich habe sogar mal eines der Mädchen aus seinem Haus kommen sehen. Offensichtlich hat er sich unbeobachtet gefühlt, denn er hat sie auf der Treppe liebkost. Als er mich entdeckte und begriff, was ich gesehen hatte, sah er recht giftig aus. Doch dann merkte er, dass ich ihn nicht verurteilte oder verspottete, und so verhielt er sich mir gegenüber wieder wie immer – freundlich und charmant. Wie ich schon sagte, wollte er mit mir ausgehen, aber davor hat er immer mal angerufen, um zu fragen, wie es mir geht, um einfach meine Stimme zu hören, und mir Blumen geschickt. Einmal habe ich ihm gesagt, ich sei doch viel zu alt für ihn. Da lachte er nur.
Ich bin nur manchmal mit ihm zum Abendessen gegangen, weil mich die Polizei immer noch im Visier hatte, mich wahrscheinlich sogar beschattete.«
»Dazu haben die gar nicht genügend Leute.«
»Nein, wirklich, ich wette, sie dachten, wenn ich schon einen älteren Mann geheiratet habe, warum dann nicht noch einen? Da falle ich doch in ein Muster, oder?«
»Was hat Bevlin davon gehalten, dass Wallace Sie umwarb?«
»Er ist jung und betrachtet Wallace als alten Mann. Ich glaube nicht, dass er sich Sorgen gemacht hat oder es ihn irgendwie gestört hat. Die Hellsehergemeinde ist klein und sehr familiär. Es gibt nur wenige Geheimnisse.«
»Ja, klar – sie lesen ja die Gedanken der anderen, stimmt’s?«
»Da ist doch schon wieder dieser Sarkasmus. Ehrlich gesagt, höre ich wenig übers Gedankenlesen, aber es wäre sicher sehr gruselig, wenn einige von ihnen das tatsächlich könnten.«
Cheney startete das Auto. »Mal sehen, ob wir Tammerlane erwischen, wie er einen Teenager begrapscht.
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