Hass
ein letztes Mal darauf angesprochen. Und als er sie erneut abwies, wurde sie wütend und schmiedete Rachepläne.«
»Sie hat immer hübsche Fingernägel. Ich kann mir nicht vorstellen, dass sie die aufs Spiel setzt, und erst recht nicht, dass sie ihn erdrosselt. Na gut, das mit den Fingernägeln war jetzt gemein, aber sie hat nie und nimmer die Kraft, jemanden auf diese Art zu töten.«
»Da haben Sie wahrscheinlich recht. Also könnte sie jemanden beauftragt haben. Wenn ich das richtig sehe, haben Sie sie einfach nie als Bedrohung betrachtet und mögen sie vielleicht sogar.«
»Ja, ich mag sie schon. Und als Bedrohung habe ich sie tatsächlich nie empfunden. August liebte mich, dessen war ich mir sicher. Es gab nie einen Grund, das anzuzweifeln.«
Cheney grübelte kurz und fragte dann: »Glauben Sie, dass sie wirklich hellsichtig ist? So wie August?«
»August sagte immer, dass viele Menschen, die glauben, hellsehen zu können, einfach nur zu viel Intuition haben. Bei denen, die er für echt hielt, stellte er sich immer zwei Messbecher vor: einen für das Talent und einen, um ihre materiellen Ambitionen zu messen. Wenn er seine Entscheidung fällte, füllten sich in seiner Vorstellung die Becher entsprechend. Bei Kathryn war seiner Meinung nach der Talentbecher halb voll und der für den Ehrgeiz fast bis zum Rand gefüllt. Sie hat also die Grenze manchmal überschritten. Aber er sagte, sie wäre so charmant und so gut darin, menschliches Verhalten zu deuten, dass sie jedem vormachen könnte, sie würde mit dem Heiligen Bernhard reden.«
Cheney bog in den Raleigh Drive ein, der sich mit großen, weit auseinanderstehenden Häusern über einen kargen Hügel ausbreitete. Während er sich umschaute, sagte er: »Das Hellsehergeschäft meint es ziemlich gut mit Miss Golden.«
»Sie ist praktisch Stammgast bei einigen Talkshows. Sie hatte sogar zwei Jahre lang eine eigene Show. Dazu hat sie zwei Bücher geschrieben, die sich beide ziemlich gut verkauft haben, wie Bevlin schon sagte. Ich habe Die Seele auf der Suche gelesen und fand es ganz gut. Obwohl ich Kathryn immer gut leiden konnte, denkt sie wohl auch, dass ich August wegen seines Geldes geheiratet habe und dass er auf meine Jugend und Schönheit hereingefallen ist.«
»Höre ich da etwa einen Hauch von Sarkasmus?«
»Nun, ja. Jugend und Schönheit. Lächerlich!«
Cheney betrachtete die hohen Wangenknochen, die Prellung war kaum noch zu sehen, die alabasterweiße Haut und die hellen grünen Augen mit den leicht nach oben gezogenen Augenwinkeln und den pfirsichfarbenen Mund. Hatte Kathryn Golden vielleicht doch nicht ganz unrecht?
Julia sagte: »Ich weiß nichts von irgendwelchen Skandalen in ihrer Vergangenheit. Sie erschien mir immer eher reserviert. Ich denke, sie liebte August, aber nicht im sexuellen Sinn. Sie bewunderte ihn genauso wie alle anderen auch.«
Als sie in die Auffahrt einbogen, fügte sie hinzu: »Mir gefällt es gar nicht, dass wir sie nicht erst angerufen haben.«
»Wir wissen, dass sie zu Hause ist. Das reicht«, sagte Cheney, als sie den Steinweg zur Haustür entlanggingen. Blumen sprießten üppig in den Beeten entlang des Weges, in Kästen und Körben, die an dicken schwarzen Ketten hingen. Sie wuchsen in wilder Pracht und lebhaften Farben und erfüllten die Luft mit Jasmin- und Veilchenduft. »Vielleicht erfahren wir etwas, wenn wir sie überraschen. Das ist ein uralter Trick. He, die Tür ist unverschlossen, wie bei Bevlin. Wieso tun Hellseher das nur?«
Julia öffnete die Tür und rief: »Miss Golden? Kathryn? Ich bin’s, Julia Ransom.«
Niemand antwortete.
Cheney versuchte es ebenfalls.
Wieder nichts.
Sie betraten den fensterlosen Flur mit den dunkelgrünen Marmorfliesen, die in dem düsteren Licht fast schwarz erschienen. »Riechen Sie mal«, sagte Julia.
Cheney schnüffelte. »Vanille, und viel zu viel davon.«
»Das ist ihr Markenzeichen.«
Kathryn Golden tauchte in der Tür zum Wohnzimmer auf und nahm eine gekünstelt wirkende Pose ein. Sie schien um die fünfundvierzig zu sein und trug ein bauschiges, langärmliges schwarzes Kleid. Ihr schwarzes Haar war zu einem modischen Knoten hochgesteckt. Mit den vorne offenen High Heels und den Diamantsteckern in den Ohrläppchen sah sie ausgehbereit aus. Hatte sie vielleicht einen Fernsehauftritt?
Sie zog eine Augenbraue hoch. »Julia, was machen Sie denn hier? Und wer ist dieser Mann?«
»Das ist Special Agent Cheney Stone, Kathryn. Können wir mit Ihnen reden?«
»Ich
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