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Hassbluete

Hassbluete

Titel: Hassbluete Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Agnes Kottmann
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dem Balkon das Gleichgewicht verloren, weil es ihm wegen uns so schlecht ging? Hast du sein Gesicht nicht gesehen, als er weggegangen ist? Es sah noch blasser aus als nach diesem komischen Telefonat gestern.«
    »Wenn er das Gleichgewicht verliert, ist das nicht unsere Schuld!« Mike ballte die Fäuste und ich spürte seinen Zorn. Immer wenn er merkte, dass er nicht weiterkam, fing er an, um sich zu schlagen wie ein Tier, das in die Falle geraten war und merkte, dass es keinen Sinn hatte, um Gnade zu betteln. Ich dachte, dass er seine Trauer nicht zeigen konnte, seinen Schmerz, dass es ihm leidtat. Aber er konnte doch nicht immer so cool und unnahbar sein.
    Plötzlich sprang er auf und fing an, den Keller auf den Kopf zu stellen, kroch unters Sofa, schob den Sessel und Kisten beiseite, ging von einer Ecke in die andere.
    »Was suchst du?«, fragte ich ihn.
    »Weiß nicht. Ich will nicht irgendwann eine böse Überraschung erleben. Vielleicht hat Robin …« Er sprach den Satz nicht zu Ende.
    »Was? Meinst du …? Ich meine … warum hat er uns gefragt, was wir ihm dafür geben, wenn er nicht mehr da ist? Glaubst du, er hat geahnt, wie wir reagieren, und wollte sich an uns rächen?«
    »So was ahnt man doch nicht«, wandte Mike ein, ohne konkret auf mich einzugehen.
    »Sondern?«
    »Keine Ahnung.«
    »Hat er nichts mehr gesagt?«, wollte ich wissen.
    »Wann?«
    »Na ja, du bist ihm doch nachgegangen und wolltest noch mal mit ihm reden!?«
    »Ach so, ja … hab mich bei ihm entschuldigt«, sagte Mike knapp.
    »Und?«
    »Nichts und. Er hat sie angenommen.«
    »Die Entschuldigung!?«
    Mike reagierte gereizt: »Ja, was denn sonst!?«
    Ich schwieg jetzt lieber und half mit suchen, wonach auch immer. Es war besser, als nichts zu tun. Es war eine Beschäftigung. Eine sinnlose, aber wenigstens hatten die Hände etwas zu tun. Mike inspizierte das Schlagzeug, rüttelte an den Trommeln, ob sich etwas darin befand.
    Ich nahm mir den Umzugskarton vor, der hinter dem Sofa stand und in dem sich vor allem Bücher stapelten – die meisten über Rock ’n’ Roll und die Rolling Stones. Auch ein leeres Plattencover von »Exile on Main Street« lag dazwischen. Etwas steckte in der Hülle. Ich zog das Cover heraus. Es war schwerer, als wenn es nur eine LP enthalten hätte. Der Rand eines Briefumschlags ragte daraus hervor. Er hatte den Absender einer Lebensversicherung: Die Züricher Rentenanstalt. Der Umschlag war aufgerissen und ich holte den Inhalt heraus: Einen einzelnen Wohnungsschlüssel, der Ähnlichkeit mit meinem eigenen hatte. Und ein Handy. Ich drehte es um – kein Delfinaufkleber. Ich hielt den Atem an: War das etwa das Handy, das Robin aus dem Schließfach am Bahnhof geholt hatte? Ich warf Mike einen verstohlenen Blick zu, der gerade die Sofaritzen checkte, und wollte den Umschlag schon wieder schnell zurücklegen, als Mike plötzlich hinter mir war: »Was hast du da?«
    »Nichts«, sagte ich. »Nur so ein alter Briefumschlag.«
    »Zeig mal«, sagte Mike und griff danach. »Das ist bestimmt ein Schlüssel zu Robins Wohnung«, sagte er, nachdem er den Inhalt nach draußen befördert hatte. »Und ein Handy!?«
    Mike drückte ein paar Tasten, doch das Display blieb schwarz. »Ich frag mal Daniel, der hat vielleicht ein passendes Ladegerät und kann den Code knacken«, sagte er. Und schon war das Handy in seiner Hosentasche verschwunden.
    Ich weiß nicht, warum, aber ich schob heimlich den Schlüssel mit der Hand unters Sofa. Dann ballte ich meine Faust, als befände er sich noch darin, und tat so, als steckte ich ihn zurück in den Briefumschlag. »Den Schlüssel lassen wir aber hier«, sagte ich und stopfte den Umschlag in das Plattencover zurück.
    Nachdem wir wieder oben waren, verabschiedete er sich am Hintereingang von mir. Auf der Straße war bestimmt immer noch die Polizei zugange. Da wollte er nicht vorbei. Bei dem Gedanken daran wurde ich schon wieder ganz durcheinander. »Bis dann«, sagte ich fahrig.
    »Wieso nicht bis morgen?«, fragte er schlagfertig zurück.
    »Klar, bis morgen.«
    »Alles okay?«
    »Ja, warum?«
    »Warum? Robin ist tot.« Er sah mich an und sein Blick zeigte Verwirrung, Sorge, aber auch Unverständnis und Distanz. Ich hatte einfach keine Energie mehr, irgendetwas mit ihm zu diskutieren, deshalb antwortete ich nur müde: »Wieso fragst du dann?«
    »Ich meinte – mit uns«, sagte Mike.
    »Es gibt kein uns, jedenfalls nicht so, wie du dir das vorstellst .«
    Er schwieg einen Moment, dann fragte

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