Hassbluete
er: »Wieso gibst du uns keine Chance?«
»Mike, ich kann gerade nicht mehr. Lass uns ein anderes Mal darüber sprechen, ja?«
»Du weichst mir immer aus.«
»Mike!«
»Okay, okay!« Schlagartig wandelte sich seine Zuneigung wieder in Aggression. Er funkelte mich mit seinen dunklen Augen an.
»Ich war es nicht«, zischte er. Ich begriff im ersten Moment gar nicht, was er meinte. »Und wehe, du erzählst etwas anderes herum.«
»Wie kommst du darauf, ich würde dich verdächtigen!? Es war ein Unfall!«
»Ja, genau!«, sagte er ungehalten. »Aber trotzdem: Halt die Klappe, ja!?«
»Ich erzähl nichts«, sagte ich. »Aber wo warst du denn?«
Er drehte sich auf der Stelle um und drückte die Türklinke runter.
Ich konnte ihn so nicht gehen lassen, legte ihm die Hand auf die Schulter und schob schnell hinterher: »Ich meine, wen hast du vorhin gesehen? Auch Robins Mutter?«
»Ich tu das alles nur für dich, okay!?«, sagte er, und als er sich noch einmal umdrehte, hatte ich für einen kurzen Moment das Gefühl, einen feuchten Schimmer in seinen Augen zu erkennen.
»Wieso für mich? Was denn?«, fragte ich.
Statt zu antworten, nahm er mich in den Arm und strich über mein Haar. Trotz der ganzen widersprüchlichen Gefühle in mir fühlte sich das gut an. Es tat einfach gut, in den Arm genommen zu werden. Er hielt mich fest, wenn auch nur für einen kurzen Moment.
»Pass auf dich auf«, flüsterte Mike mir ins Ohr.
»Was ist? Was ist mit dir?«, fragte ich besorgt.
»Ich hab alles im Griff«, sagte Mike.
»Was denn?« Ich war schon wieder kurz davor, ihn anzuschreien. Irgendwie hatte ich das Gefühl, dass Mike noch einen letzten, verzweifelten Anlauf starten wollte, um mich doch noch zu überzeugen, dass wir zusammengehörten. Gerade jetzt, nach diesem Schock.
Dabei hatte ich ihm schon so oft gesagt, dass er für mich nur ein Freund war. Und er hatte mich einmal angeschrien, was denn noch fehlte, da wir doch sowieso ständig zusammen waren und uns so gut verstanden, meistens zumindest.
Aber ich hatte ihm keine Antwort geben können. Es gab keine Gründe, es gab nur ein Gefühl, das ich einfach nicht deuten konnte.
Er drückte mich noch einmal stärker an sich, was in mir beinahe den Impuls auslöste, ihn von mir wegzustoßen. Ich tat es nicht, sagte stattdessen aber: »Mike! Nicht so doll, du tust mir weh.«
Er ließ nicht los. Da ließ ich mich einfach fallen, schlaffte ab und sackte in mich zusammen wie ein Luftballon, dem die Luft ausging. Aber er hielt mich trotzdem, fing mich auf und ich hing wie ein schlapper Sack in seinen Armen. Einen Moment später war ich wieder in der Lage, die Knie durchzudrücken und gerade zu stehen. Ich lehnte mich an ihn. Es war plötzlich schön und warm, so dazustehen, und ich hatte überhaupt keine Angst mehr vor Mike und auch all die Zweifel waren für einen Moment verschwunden. Es war wohl so ein Moment, wenn es heißt: Die Zeit stand still!
Plötzlich ließ er mich los, wandte sich ab und ging, ohne mich noch einmal anzusehen. Die Tür fiel hinter ihm ins Schloss und ich wäre am liebsten direkt hinterher, aber ich blieb.
So stand ich eine ganze Weile da, bis mir der Schlüssel wieder einfiel. Ich schlich wieder runter in den Keller, löste die Schnürsenkel an meinem rechten Schottenstiefel und holte meinen Kellerschlüssel heraus. Nachdem ich aufgeschlossen hatte, knipste ich das Licht an, schloss von innen ab und zog den Schlüssel wieder raus, steckte ihn aber nur in meine Jeansrocktasche. Dann tastete ich den Boden unter dem Sofa ab, fand Robins Schlüssel und stopfte ihn in den Stiefel. Da hörte ich Schritte. Sofort schoss ich zur Tür und machte schnell das Licht aus. Dann hechtete ich mit drei großen Schritten zurück und über die Sofalehne. Im letzten Moment stolperte ich noch fast über den Karton, der immer noch mitten vor dem Sofa stand. Hinter dem Sofa ging ich in Deckung und hielt den Atem an. Kaum hatte ich mich geduckt, wurde ein Schlüssel im Schloss umgedreht. Ich wagte nicht, zu atmen oder über den Rand der Sofalehne zu lugen. Dann hätte mich der Eindringling sofort bemerkt, der jetzt das Licht anschaltete.
Es war Mike. Das spürte ich sofort, obwohl ich ihn noch nicht sehen konnte. Ich hörte ein Rascheln, dann fluchte er: »Mist!«
Das Licht ging aus, die Tür auf und zu und wurde von außen wieder abgeschlossen. Trotzdem blieb ich noch eine Zeit lang in meinem Versteck, falls Mike etwas vergessen hatte und noch mal zurückkommen
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