Hassbluete
»Vielleicht richtete sich das Ganze auch mehr gegen Mike und die beiden haben sich miteinander um Michelle gestritten. Was weiß denn ich, was es da für Eifersüchteleien gegeben hat? Mike ist ja schließlich auch nicht so ganz ohne. Du müsstest mal Evelyn über ihn reden hören.«
»Was unterhältst du dich denn mit Evelyn über Mike?« Jetzt klang Lisa ziemlich eifersüchtig.
»Warum denn nicht?«
»Und was hat sie über ihn gesagt?«, blieb Lisa hartnäckig.
Schweigen. Stille.
Dann antwortete Wolfgang zögernd: »Vielleicht hab ich sie auch falsch verstanden oder gebe das jetzt falsch wieder … Du weißt, ich rede nicht gern darüber, was andere gesagt haben. Das kann schnell zu Missverständnissen führen.«
Ein Glas wurde sehr hart auf der Tischplatte abgesetzt. »Ich hasse es, wenn du erst irgendwelche Andeutungen machst und mich dann in der Luft hängen lässt. Also: WAS hat sie über ihn gesagt?« Ihre Stimme klang laut und bestimmt.
»Du suchst doch nur einen Sündenbock.«
»Nein. Wieso sollte ich das tun? Ich habe mich selbst schon zum Sündenbock erklärt und habe genug mit meinem eigenen schlechten Gewissen zu tun. Ich werde also Mike nicht für etwas verurteilen, wofür ich mich schon selbst verurteilt habe.«
»Versprich mir aber, dass das unter uns bleibt und dass du damit nicht auf Evelyn und Mike losgehst!?«
»Ja okay, ich verspreche es«, sagte Lisa.
»Evelyn hat manchmal richtig Angst vor Mike, dass er handgreiflich werden und gewisse Situationen außer Kontrolle geraten könnten«, berichtete Wolfgang.
Das hatte sie neulich ja auch schon zu mir gesagt, erinnerte ich mich, allerdings hatte ich das nicht richtig ernst genommen. Mikes Mutter dramatisierte ja auch gerne mal ein bisschen.
»So schlimm?« Lisa konnte das offenbar auch nicht wirklich glauben.
»Willst du damit sagen, dass Mike vielleicht auch Robin gegenüber handgreiflich geworden ist, ihm gedroht hat? Dass Robin sich seinetwegen …?«
»Ich weiß nicht«, Wolfgang war offenbar nicht ganz wohl dabei, einen solchen Verdacht aussprechen zu müssen. »Aber vielleicht war es eher wegen Mike als wegen uns? Ich weiß es einfach nicht.«
»Wir müssen mit den beiden darüber reden!«, sagte Lisa.
»Ja, aber nicht heute. Du musst dich erst mal beruhigen.«
»Okay, ich glaub, ich leg mich ein bisschen hin.« Stühle rückten.
»Komm, ich bring dich rüber und deck dich zu«, sagte Wolfgang. Sie kamen durch den Flur und ich hielt noch mal für einen Moment die Luft an, bevor die Schlafzimmertür erst auf und dann wieder zuging.
Ich stieg schnell aus der Wanne und trocknete meine Stiefelsohlen auf der Badematte, damit ich keine feuchte Spur hinterließ. Dann warf ich noch einen Blick in die Badewanne, ob ich auch dort keinen Dreck hinterlassen hatte, und schlich dann in den Flur.
Auf dem Sideboard lag Robins Brief – ohne Umschlag. Ich erkannte seine Schrift sofort.
Ohne zu überlegen, nahm ich den Brief und steckte ihn in meine Tasche. Es war wie ein Reflex. Hinterher konnte ich nicht mehr sagen, was ich mir in dem Moment dabei gedacht hatte. Ich glaube, mein Kopf war vollkommen leer. Dann schlüpfte ich nach draußen und zog die Wohnungstür leise hinter mir zu.
Es ist doch einfach nichts los hier in Kinderhaus. Viele lassen sich gehen oder sind zu bequem, überhaupt irgendetwas zu machen. Nur einkaufen gehen sie vielleicht noch. Oder zur Arbeit. (. . .)
Klar, wenn sie gute Jobs haben, haben sie auch Freunde in der Stadt, gehen abends weg usw. (. . .)
Viele leben doch nur noch im Job und danach ist Feierabend mit Fernsehen und Tiefkühlpizza. (. . .)
Warum das wichtig ist? Weil man kapieren muss, wie die Leute hier ticken. Nur dann kann man auch verstehen, was wirklich passiert ist.
10
Jetzt musste ich einen Ort finden, an dem ich den Brief ungestört und unbemerkt lesen konnte. Der Keller. Hoffentlich war keiner von den anderen gerade da. Ich nahm die Treppe, um möglichst niemandem zu begegnen.
Ich war schon im dritten Stock angelangt, als mir Frau Bertram mit einer Einkaufstüte entgegenkam. Ausgerechnet jetzt! Sie benutzte nie den Aufzug, obwohl sie im vierten Stock wohnte, weil sie Angst hatte, dass er stecken bleiben könnte. Sie schnaufte besonders stark, als sie mich kommen sah, damit ich ihr anbot, ihre Tüten in die Wohnung zu tragen. Jetzt wo Robin nicht mehr da war und das nicht mehr für sie machen konnte.
»Hallo, Frau Bertram! Gehen Sie langsam! Ich kann jetzt nicht!«
»Keine Sorge, die
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