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Hassbluete

Hassbluete

Titel: Hassbluete Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Agnes Kottmann
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zu verlieren, dachte ich.
    »Aus der Wohnung der Richters. Sie wissen nicht, dass ich ihn gestohlen habe. Die Polizei weiß auch von nichts von dem Brief. Sie haben ihn unterschlagen.« So, nun war es raus.
    »Du hast ihn einfach so mitgehen lassen?«
    »Ja, er lag im Flur auf dem Bord.« Zum Glück fragte er nicht, wann das gewesen war und wie ich in die Wohnung gekommen war. Das klang jetzt so, als wäre ich dort zu Besuch gewesen und hätte dabei heimlich den Brief eingesteckt.
    Da griff Mike plötzlich nach meiner Hand. Er drehte sich zu mir und küsste mich. Ich war so verwirrt, dass ich im ersten Moment überhaupt nicht reagierte. Dann wollte ich ihn wegstoßen. Er sollte mich nicht küssen, er sollte mir endlich mal was erklären. Aber er ließ mich nicht, griff in meine Haare und zog mich noch enger an sich heran. Da gab ich den Widerstand auf und erwiderte den Kuss. Danach lagen wir uns noch eine Weile in den Armen. Und ich flüsterte in sein Ohr: »Mike, ich verstehe dich nicht. Erklär mir, was hier passiert. Bitte!«
    Er löste sich aus der Umarmung und ich war erleichtert, dachte, dass er endlich mit mir sprechen würde. Aber er strich mir nur noch einmal über den Kopf und sagte: »Ich bringe alles wieder in Ordnung.«
    Dann stand er rasch auf und ging zur Tür. Verzweiflung packte mich. »Was? Was bringst du in Ordnung? Mike! Geh jetzt nicht! Red mit mir!« Aber er drehte sich nicht noch einmal um und schloss die Tür hinter sich.
    »Mike!«, rief ich. Die Angst wurde immer größer. Ich hatte das Gefühl, ein Rad, das den Berg herunterrast, nicht mehr stoppen zu können. Oder mit gebundenen Händen einer Katastrophe zusehen zu müssen. Unfähig, etwas zu tun. Mein Körper sackte zur Seite und blieb liegen. Ich schloss die Augen, aber die Tränen quollen trotzdem unter den Lidern hervor. Ich wollte nichts mehr sehen von der Welt, von Mike, von diesem ganzen Scheiß-Spiel, von dem ich die Spielregeln nicht kannte.
    Ich war eingeschlafen. Das Klingeln meines Handys weckte mich. Ich guckte auf die Uhr. Es war schon nach acht Uhr. Auf dem Display blinkte Mama . Sie telefonierte sonst nie hinter mir her. Ich ließ sie auf die Mailbox sprechen, meine Stimme würde nur zu viel von meiner Stimmung verraten. Mit dem Ärmel wischte ich mir die getrockneten Tränen ab und schmierte mir den Mascara dabei wahrscheinlich quer durchs Gesicht. Dann rollte ich mich vom Sofa, stand mühsam auf und machte mich daran, die endlosen Stufen nach oben zu steigen.
    Mit zittrigen Fingern versuchte ich, den Schlüssel in die Wohnungstür zu stecken – da öffnete Mom sie schon von innen und nahm mich in den Arm. Sie führte mich zum Sofa und hielt mich einfach für eine gefühlte Ewigkeit fest.
    Sie wusste genau, wenn ich reden wollte, würde ich es tun. So strich sie mir nur übers Haar, über den Rücken. Sie roch ganz frisch nach Andy Dream und diesmal mochte ich es.
    »Ich bin auch sehr traurig«, sagte sie. »Ich hab Robin gemocht, auch wenn er manchmal irgendwie anstrengend war. Und ich weiß, dass du ihn auch sehr gemocht hast. Vielleicht mehr, als dir selbst bewusst ist. Und dass es dir viel näher geht, als du zeigst. Aber das ist okay, das versteh ich.«
    Ich antwortete nicht, legte nur den Kopf auf ihre Schulter und schloss wieder die Augen.

    Ja, dieser Brief – das war nicht so wirklich Robins Stil. (. . .)
    Aber was weiß man schon, was in so einem Moment passiert und wie sich jemand ausdrückt, der kurz davor steht. Wir haben viel über diesen Brief diskutiert, das können Sie mir glauben. Wir haben versucht, uns in Robin hineinzuversetzen, wie es gewesen sein könnte. (. . .)
    Ja, irgendwie haben wir zwar gespürt, dass Robin total verzweifelt gewesen sein musste, konnten uns aber trotzdem nicht vorstellen, dass der Text von ihm war. (. . .)
    Klar, natürlich haben wir uns Vorwürfe gemacht und man fühlt sich als direkt Beteiligter auch irgendwie angesprochen … (. . .)
    Wir haben uns dann eingeredet, dass Robin vielleicht nur – was heißt nur, das war ja schlimm genug –, dass Robin vielleicht nur schlecht drauf war und nur nicht aufgepasst und das Gleichgewicht verloren hat? Aber auch daran sind wir vielleicht mitschuldig!? Weil wir vorher nicht verstanden haben, was mit ihm los war? (. . .)
    Nein, der Brief war für mich nur ein Hilferuf. Oder eine Möglichkeit, sich interessant zu machen, Aufmerksamkeit zu bekommen. (. . .)
    Vielleicht war der Text auch aus dem Internet? Irgendwo abgeschrieben … (. .

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