Hastings House
gar nicht, was ihre Erlebnisse mit Matt betraf – die halb spiritueller, halb erotischer Natur waren. So erwähnte sie lediglich, dass Matt ihr zwar ab und zu im Traum erscheine, es sonst aber zu keinem Kontakt gekommen sei. Sie berichtete auch von den “Unfällen”, und sie versuchte zu erklären, dass Joe Matt so ähnlich sah und zugleich doch ganz anders war als sein Cousin.
Am schwierigsten war der Zwischenfall in der U-Bahn zu erklären. Sie war sich so sicher gewesen, dass sie Matt gesehen hatte, der sie zum Aufstehen antrieb, und doch war Joe derjenige, der sie zurück auf den Bahnsteig zog.
“Unfälle”, murmelte Adam.
“Vielleicht solltest du besser die Stadt verlassen”, gab Nikki zu bedenken.
“Ich fürchte mich nicht vor Geistern.”
Nikki grinste zynisch. “Tja, wir hatten beide Gelegenheit herauszufinden, dass die Lebenden gefährlicher sind als die Toten.”
Leslie nickte. Ihre Freundin hatte ausgesprochen, was ihr selbst auf der Zunge lag. “Und dann”, berichtete sie weiter, “ist da noch die Sache mit den verschwundenen Prostituierten. Und eine Sozialarbeiterin, die sich um die Frauen gekümmert hatte, wird ebenfalls vermisst. Außerdem besteht die Möglichkeit, dass die Explosion, bei der Matt ums Leben kam, gar kein Unfall war.”
“Noch ein Grund mehr für dich, die Stadt zu verlassen”, betonte Adam.
“Andererseits auch ein Grund mehr, zu bleiben.”
“Wieso?”, fragte Nikki.
“Ich glaube, dass ich hier bin, weil ich irgendwie helfen kann. Im Hastings House gibt es Geister. Ich sprach mit einer Elizabeth – und Matt war derjenige, der mich wissen ließ, dass sie Hilfe benötigte.”
“Am Hauseingang hält sich auch ein Soldat aus dem Bürgerkrieg auf”, entgegnete Nikki.
“Du hast ihn gesehen?”
“Nur kurz. Er schien mir ein rechter Gentleman zu sein”, antwortete sie.
“Tatsächlich? Ich würde ihn gern kennenlernen”, sagte Leslie.
Nikki lächelte sie an. “Ich habe mich mit diesen Dingen schon so viel länger beschäftigt als du. Als mir das erste Mal klar wurde, dass ich einen Geist sehe, da dachte ich, ich müsste vor Schreck sterben.”
“Und ich dachte, ich wäre am besten in der geschlossenen Abteilung aufgehoben”, gab Leslie leise zurück. “Allerdings glaube ich, dass ich in diesem Moment bei Matt war und beinahe für immer bei ihm geblieben wäre.”
“Das war der Moment, als du feststellen musstest, dass du sehen kannst, was anderen verwehrt bleibt”, sagte Adam und fügte dann betrübt hinzu: “Was nicht mal ich sehen kann.”
Nikki legte eine Hand auf Leslies Arm. “Findest du es richtig, dass du allein im Haus bleibst?”
“Keine zehn Pferde würden mich da wegkriegen”, antwortete Leslie. “Und letzte Nacht hat Joe in dem anderen freien Zimmer übernachtet. Es war zwar nur für eine Nacht, aber wenn ich frage, bleibt er mit mir im Haus. Wisst ihr was? Ihr beide solltet heute Nacht bei mir bleiben. Bitte, würdet ihr das für mich tun, ja? Vielleicht … könnt ihr etwas sehen, das ich nicht sehen kann. Ich vermute, ihr habt euch bereits ein Hotelzimmer genommen, aber …”
Adam machte eine abwehrende Geste. “Das können wir auch wieder abbestellen.”
“Es gibt da noch etwas anderes, wobei ihr mir helfen könntet, falls ihr vor dem Abflug morgen noch ein wenig Zeit habt”, verriet sie und erzählte ihnen von dem Mädchen auf der Ausgrabungsstätte. “Die Kleine heißt Mary, aber ich kenne nicht ihren Nachnamen. Im Kirchenregister sind zu viele Marys aufgeführt. Ich habe sie seit dem ersten Mal nicht mehr gesehen, doch es kommt mir so vor, als wäre es für sie wichtig, wieder mit ihrer Mutter vereint zu sein.”
“Ich werde tun, was ich kann”, versprach Nikki. “Ich wünschte, Brent wäre hier.”
“Du und Leslie, ihr kriegt das schon hin”, meinte Adam zuversichtlich.
Leslie wollte etwas erwidern, doch in dem Moment wurde ihr bewusst, dass sie eine Frau angestarrt hatte, die an einem Tisch ihr gegenüber saß. Die Bedienungen schienen sie alle zu kennen, denn jede der Frauen, die am Tisch stehen blieben, um Kaffee nachzufüllen, sprach einige Worte mit ihr.
“Hast du jemanden wiedererkannt? Warst du schon mal hier?”, fragte Nikki.
“Nein. Und ja. Ich war einmal mit Joe hier.”
Nikki und Adam warfen der Frau, die Leslie beobachtet hatte, einen Blick zu. “Das ist Eileen Brideswell”, sagte Adam.
“Ja, natürlich”, entgegnete Leslie und wunderte sich, dass sie die Frau nicht erkannt hatte.
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