Hastings House
Leslie in Lebensgefahr schwebte, da hatte die pure Verzweiflung ihn bis zu ihr getragen. Ja, er war dort gewesen, und sie hatte sein Gesicht gesehen, seine Präsenz gefühlt, als er ihr von den Schienen half.
Joe war auch dort gewesen. Joe mit seinen kraftvollen, lebendigen Armen. Den womöglich einzigen Armen, denen er Leslie noch anvertrauen konnte. Matt konnte es nicht mehr ertragen, wenn Leslie mit irgendjemandem allein war.
Bald würde er in der Lage sein, das Haus zu verlassen, wann immer er es wollte. Dann würde er es bis zur Straßenlampe schaffen und endlich sehen können, wer dieser geheimnisvolle Beobachter war.
Aber heute Nacht …
… heute Nacht würde er oben im Schlafzimmer bleiben und die beiden Frauen beobachten, wie sie schliefen. Zwei Frauen, die mit ihrem blonden Haar wie zwei Engel aussahen.
Von nostalgischen Gefühlen überwältigt, strich er zärtlich über Leslies Haar, dann setzte er sich auf den Boden, den Rücken gegen die Wand gelehnt, und beobachtete die beiden.
Er würde die ganze Nacht über bleiben.
Leslie schreckte aus dem Schlaf hoch.
Sie wusste nicht, was sie geweckt hatte, aber auf jeden Fall schlief Nikki weiter tief und fest.
Es war wohl etwas im Fernsehen gewesen.
Sie griff nach der Fernbedienung und schaltete das Gerät aus, dann ließ sie den Kopf auf das Kissen sinken.
“Matt? Bist du hier?”, hauchte sie fast tonlos.
Doch sie bekam keine Antwort. Leslie glaubte zu sehen, dass sich der Vorhang ein wenig bewegte, und vielleicht strich eine leichte Brise über sie hinweg. Aber vielleicht lag es auch nur daran, dass sie müde war und sich verzweifelt ein Zeichen von ihm wünschte. Doch dieser Hauch einer Bewegung genügte, um sich von Liebe und Zärtlichkeit umgeben zu fühlen.
Im nächsten Augenblick schreckte sie erneut hoch.
Nicht der Fernseher hatte sie geweckt, sondern …
… ein herzzerreißendes Schluchzen.
So wie sie es zuvor gehört hatte … als sie in ihrer Vision Genevieve O’Brien sah.
16. KAPITEL
E s war ein verdammt langer Tag gewesen. Joe wusste sehr wohl, dass Leslie ihm nicht alles über ihre Freunde Adam und Nikki gesagt hatte – genauso wie sie unzählige Dinge dachte und fühlte, die sie ebenfalls nicht mit ihm teilte. Aber er wusste, dass sie ihm vertraute, und das genügte für den Moment. Obwohl er sich danach sehnte, sie in seinen Armen zu halten – und mehr – hielt er sie dennoch auf Abstand. Es war besser so.
Kaum war er zu Hause angekommen, suchte er im Internet nach Harrison Investigations. Die offizielle Website war recht spärlich und bot außer den Kontaktangaben kaum brauchbare Informationen, dafür aber stieß er bei anderen Seiten auf eine ganze Reihe von Artikeln. Er las sie alle und fragte sich, ob er über die ständigen Andeutungen auf Übersinnliches erstaunt, amüsiert oder irritiert sein sollte. Bei mehreren ungewöhnlichen Vorfällen hatte sogar die Regierung einschreiten müssen.
Ein gezielter Anruf bei einem Sheriff in einer Stadt westlich von Richmond, mit dem er mal zusammengearbeitet hatte, brachte ihm eine viel hilfreichere Reaktion als erwartet ein. Der Sheriff war mit einem Kollegen befreundet, einem gewissen Sheriff Stone, der wiederum mit einer von Harrisons Mitarbeiterinnen verheiratet war und für Harrison seine Hand ins Feuer legen würde.
Zumindest konnte er nun davon ausgehen, dass Leslie in dieser Nacht in Sicherheit war. Er hätte also endlich etwas Schlaf nachholen können – was er aber nicht tat. Stattdessen sah er sich noch einmal in seinem Keller um und beschloss, sich um die Notenblätter zu kümmern.
Er kehrte nach oben zurück und nahm sich einen weiteren Abzug des Fotos vor, das Betty, Genevieve und Brad zeigte. Als er ihn auf dem Foto erkannt hatte, war Joe drauf und dran gewesen, den Kerl aus der nächsten Kneipe zu zerren und ihn in der Luft zu zerreißen. Doch Leslie hatte recht: Er hatte keinen Beweis gegen ihn in der Hand. Bevor er sich diesen Typen schnappen konnte, brauchte er weitere Antworten auf noch mehr ungeklärte Fragen. Erst dann wollte er die Cops informieren, damit sie ihn verhafteten.
Noch immer fühlte sich Joe rastlos. Er duschte heiß, dann legte er sich ins Bett und ließ im Fernsehen die Nachrichten laufen. Schließlich las er ein Buch, aber auf nichts konnte er sich wirklich konzentrieren.
Er würde in dieser Nacht wohl keinen Schlaf finden.
Schließlich stand er wieder auf. Zum Teufel noch mal! Er war schon früher mehrere Nächte hintereinander ohne
Weitere Kostenlose Bücher