Hastings House
neben ihrem Bett. Vier Uhr am Morgen. Viel zu früh, um aufzustehen.
Langsam ließ sie den Kopf wieder aufs Kissen sinken, aber sie konnte einfach nicht wieder einschlafen. Nach einer halben Stunde gab sie es auf, zog den Morgenmantel über und ging nach unten.
Bislang war sie noch nicht in das Zimmer gegangen, in dem sich die Explosion ereignet hatte. War sie schon bereit dafür?
Sollte sie versuchen, Kontakt zu Matt aufzunehmen?
An der Haustür angelangt, betrat sie das erste Zimmer, das vom Flur abging und das wie ein Salon aus der Kolonialzeit eingerichtet war. Vor dem Fenster sah sie ein zweisitziges Sofa, in der Mitte des Raumes war ein Tisch aufgestellt, an einer Seite fand sich ein Piano, dazu mehrere Sessel und ein Teetisch. Leslie stand da, halb in Dunkelheit, halb in den diffusen Schein der Sicherheitsbeleuchtung getaucht.
“Hallo?”, sagte sie leise.
Doch das Zimmer war nur ein Abbild einer Vergangenheit, die vielleicht genauso ausgesehen hatte, vielleicht aber auch nicht.
Sie ging durch eine Verbindungstür ins Esszimmer und überlegte, dass der vergangene Abend inzwischen nur noch ein kurzer Augenblick in der Geschichte war, so wie alles andere auch.
Dann ging sie durch die Küche ins Anrichtezimmer.
Den Herd hatte man nachgebaut, und als Leslie ihn länger betrachtete, konnte sie fast sehen, wie Matt an jenem Abend dagestanden hatte. Und sie stellte sich vor, wie sie durch eine anderweitige Unterhaltung daran gehindert wurde, zu Matt zu gehen. Im Geiste konnte sie ihn sogar fast sehen …
Aber im Zimmer blieb alles ruhig. Es war einfach nur ein Zimmer, sonst nichts.
“Nicht mal ein Gentleman aus der Kolonialzeit hier? Oder die Dame des Hauses?”, rief sie in den Raum.
Nein, nur ein leeres Zimmer.
Sie kehrte zurück in die Küche und entdeckte die Kaffeemaschine, was sie auf die Idee brachte, sich einen Kaffee aufzubrühen. Wenn das Kaffeepulver Melissa gehörte, die sich um die Eintrittskarten kümmerte, würde sie es ihr ersetzen. Oben in ihrem Zimmer, das nicht Teil der Führung war, gab es einen Fernseher. Sie würde mit ihrer Tasse nach oben gehen und sich die Frühnachrichten ansehen, die bald anfingen.
Während sie in der Küche stand und wartete, dass der Kaffee fertig wurde, rechnete sie insgeheim damit, einen Geist zu erblicken, sobald sie sich umdrehte. Doch nichts geschah. Als der Kaffee durchgelaufen war, schenkte sie sich einen großen Becher ein, gab Milch dazu, die sie im kunstvoll getarnten Kühlschrank gefunden hatte, und kehrte zurück in den ersten Stock.
In ihrem Zimmer angelangt, stellte sie den Becher ab, schaltete den Fernseher ein und schaute mehr im Vorbeigehen aus dem Fenster … als auf einmal ihr Herz stehen blieb.
Draußen auf dem Fußweg stand ein Mann unter der Straßenlaterne, gleich vor dem Haus.
Matt.
Sie kniff die Augen zu und sah noch einmal hin, aber der Mann war immer noch da draußen. Die gleiche Größe wie Matt, die gleiche Körperhaltung wie er. Das musste Matt sein.
Dann hob er den Kopf und schaute nach oben.
Oh Gott, das
war
Matt!
Leslie vergaß, dass sie nur einen Morgenmantel über ihrem Nachthemd trug, und beinahe hätte sie auch die Alarmanlage vergessen. Erst in allerletzter Sekunde dachte sie an die Sirene, die losgehen würde, wenn sie ohne Eingabe des Codes die Tür öffnete. Hastig tippte sie die Zahlenkombination ein, riss die Tür auf und lief den Weg entlang bis zum Gartenzaun.
Dort angekommen, fluchte sie leise. Der Mann war verschwunden.
Sie zog den Morgenmantel enger um sich, während ihr die Stille bewusst wurde, die auf der Straße herrschte.
Totenstille, um genau zu sein.
Nachdem sie das Tor geöffnet hatte, ging sie ein paar Schritte weit auf dem Fußweg und sah nervös in beide Richtungen. Nirgends war etwas von dem Fremden zu sehen. Nein, den Mann an der Straßenlampe musste sie sich eingebildet haben.
Wäre es Matt gewesen … nein, ein Geist musste nicht die Straße entlanglaufen, wenn er verschwinden wollte. Es würde also zu nichts führen, barfuß umherzuirren und weiter nach ihm Ausschau zu halten. Matt war es sicher nicht gewesen, sie hatte nur geglaubt, ihn vor sich zu haben, weil sie ihn so unbedingt sehen wollte …
Leise seufzend fragte sie: “Hallo? Ist da jemand?”
Ein leichter Wind strich ihr übers Gesicht, aus der Ferne hörte sie eine Autohupe, jemand rief: “Taxi!”
Diese Stadt schlief tatsächlich niemals. Selbst hier, im Finanzdistrikt, war immer irgendjemand auf den
Weitere Kostenlose Bücher