Hastings House
Robert ihr seine Hand auf die Schulter. “Ich rufe dich an.”
Die Menge der Arbeiter ging ehrfurchtsvoll auseinander, als Leslie die Gruft verließ. Sie lächelte und winkte ihnen zu. “Mir geht’s gut. Arbeiten Sie ruhig weiter, wir haben noch viel zu tun.”
Von Joe und Brad begleitet, überquerte sie die Ausgrabungsstätte in Richtung Hinterausgang. Plötzlich blieb sie stehen und zwang Joe, ebenfalls stehen zu bleiben, da sie bei ihm untergehakt war.
“Warte!”, wies sie ihn an.
“Was ist?”, gab Joe zurück.
Sie sah sich um. “Wer hat mich gefunden?”
Brad zuckte mit den Schultern. “Laymon und ich. Du hast bewusstlos der Länge nach auf dem Boden gelegen. Wir haben einen richtigen Schreck bekommen, Leslie.”
“Ihr wart zusammen?”
“Ja, wieso?”, wollte Brad wissen.
“Und sonst war keiner mit mir in der Gruft, richtig?”
“Nein, außer dir war da keiner. Wieso fragst du?” Brad sah sie verwundert an.
“Richtig. Ja, natürlich.” Sie zwang sich zu einem Lächeln, verabschiedete sich von Brad, damit der sich zu Dryer begeben konnte, dann ging sie mit Joe weiter.
Gemeinsam verließen sie das Gelände durch den Hinterausgang, und ein paar Minuten später war Hastings House bereits in Sichtweite.
Der morgendliche Berufsverkehr war auf dem Höhepunkt angelangt, auf den Bürgersteigen drängten sich die Menschen, die zu ihrem Arbeitsplatz hetzten. Es war schon witzig, dass sie sich rund um die Ausgrabungsstätte keinen Meter bewegen konnte, ohne von jemandem angesprochen zu werden. Hier dagegen nahm kaum jemand von ihr Notiz, obwohl sie mit Staub und Erde bedeckt war. Die ernst und zum Teil sogar verbissen dreinblickenden Geschäftsleute und Angestellten waren auf dem Weg in ihre Büros im Finanzbezirk.
Sie sah Joe an, der ebenfalls eine ernste Miene aufgesetzt hatte. “Gut, dass du heute Morgen noch nicht geduscht hattest”, sagte sie zu ihm.
Er warf ihr einen kurzen Blick zu und war überrascht, dass sie so unbeschwert lächelte. “Was ist da unten passiert?”, fragte er.
“Ein Stück vom Deckenputz kam runter”, antwortete sie. “Vergiss nicht, dass seit über hundert Jahren niemand mehr diese Gruft betreten hat. Selbst die Pyramiden haben die Zeit nicht unbeschadet überstanden, und diese Gruft wurde nicht annähernd so massiv erbaut.” Vergeblich versuchte sie ihn zum Lachen zu bringen.
“Ich überlege, ob es richtig ist, dass du da arbeitest.”
“Was redest du denn da? Das ist mein Job.”
Er schüttelte den Kopf.
“Aber vielleicht kannst du mir ja verraten, was du da zu suchen hattest”, gab sie seine Frage zurück.
Joe sah stur geradeaus und schwieg.
“Joe?”
“Ich weiß es nicht”, antwortete er schließlich in einem Tonfall, als müsse er sich überwinden.
“Was heißt, du weißt es nicht?”
“Es heißt, dass ich es nicht weiß. Ich …” Er verstummte und schüttelte erneut den Kopf. “Ich hatte so ein Gefühl, als müsse ich nach dir sehen.”
“Tatsächlich?”
“Ja, tatsächlich. Instinkt, ein ungutes Gefühl – ich weiß es nicht.”
“Auf jeden Fall war das sehr süß von dir”, sagte sie.
“Süß?” Er schaute sie an, als hätte sie den Verstand verloren.
“Ja, es war sehr nett von dir, dass du um mich besorgt warst.”
Er erwiderte nichts, beschleunigte aber seine Schritte.
“Hey, nicht so eilig. Ich bin zu Fuß zwar schnell unterwegs, trotzdem muss ich rennen, um mit dir mitzuhalten.”
“Sorry”, gab er zurück.
Dann hatten sie das Haus erreicht. Es war noch nicht geöffnet, doch die Eingangstür war angelehnt, und als sie die kurze Treppe erreichten, sah Melissa nach draußen.
“Leslie? Alles in Ordnung?”, rief sie aufgeregt und kam ihnen entgegen.
“Alles bestens”, antwortete Leslie ein wenig irritiert. “Was …”
“In den Nachrichten hieß es, dass es einen Unfall gegeben hat”, sagte Melissa, dann warf sie Joe einen merkwürdigen Blick zu. “Sie sind von hier zur Baustelle gegangen?”
“Ja.”
“Wow”, meinte sie erstaunt.
“Hey, geht’s allen gut?”
Leslie sah zum Eingang. Jeff Green stand im Kolonialstil gekleidet in der Tür und sah sie besorgt an. Unwillkürlich musste Leslie grinsen. Er hätte durchaus ein Gentleman aus dem achtzehnten Jahrhundert sein können, der auf der Veranda seines Hauses stand, um sein Land zu überblicken. Doch ehrlich gesagt erinnerte er sie weniger an Washington als vielmehr an den großen und schlanken Ichabot Crane, den Helden aus “The Legend of
Weitere Kostenlose Bücher