Hasturs Erbe - 15
glaube, in erster Linie erwartet man von dir, daß du einen Sohn für Armida zeugst. Wenn dir das gelänge, wäre es ihnen egal, ob du das Mädchen heiraten würdest oder nicht, oder?” Es wäre nicht schwierig gewesen, mit einer der Frauen aus dem Zirkel auf dem Arilinn ein Kind zu zeugen, wenn auch eine Schwangerschaft für die Frau dort schwierig gewesen wäre. Doch der Gedanke wirkte wie Salz in einer offenen Wunde. Ich sagte schließlich, und meine Stimme klang dabei brüchig: „Ich bin selbst ein Bastard. Glaubst du wirklich, daß ich das jemals einem meiner Söhne aufbürden würde? Und Linnea ist sehr jung und sie… war mir gegenüber aufrichtig.” Die ganze Unterhaltung beunruhigte mich aus irgendwelchen Gründen. „Wie kommt es, daß du soviel darüber weißt? Ist mein Leben zum Thema einer Ratsdebatte geworden, Callina Comynara?’
Sie schüttelte den Kopf. „Nein, natürlich nicht. Aber Javanne und ich haben schon als Kinder miteinander gespielt, und sie erzählt mir alles. Es ist kein Ratsklatsch, Lew, nur Frauengeschwätz.”
Ich hörte sie kaum. Wie alle Altons habe ich zuzeiten das verwirrende Gefühl, die Zeit verschoben zu sehen, und Callinas Bild bebte und verschwamm vor meinen Augen, als sähe ich sie durch fließendes Wasser oder durch die Zeit hindurch. Einen Moment verlor ich sie aus den Augen, so wie sie nun war, bleich und schlicht und in Scharlachrot gewandet, wie in einem eisblauen Nebel schimmernd. Dann schien sie zu verschwimmen, war kalt und fern und wunderschön und glänzte dunkel wie der mitternächtliche Himmel. Ich war wie gefoltert und kämpfte mit einem Gemisch aus Wut und Frustration. Mein ganzer Körper schmerzte von…
Ich zwinkerte mit den Augen und versuchte, die Welt wieder so zu sehen, wie sie war. „Fühlst du dich nicht wohl, Vetter?”
Ich merkte in blankem Entsetzen, daß ich einen Moment lang nahe daran gewesen war, sie in den Arm zu nehmen. Da sie zur Zeit nicht Bewahrerin in ihrem Kreis war, bedeutete dies nur eine Unhöflichkeit, keine undenkbare Unverschämtheit. Es war wahnsinnig! Ich blickte Callina immer noch an und reagierte auf sie wie auf eine begehrenswerte Frau, nicht durch ein doppeltes Tabu und den Eid eines Turmtechnikers von mir getrennt.
Sie blickte mir zutiefst besorgt in die Augen. In ihrem Blick lag kühles Mitempfinden und Freundlichkeit, doch keine Antwort auf meinen Trieb und mein unkontrollierbares Gefühl. Natürlich nicht!
„Damisela! Ich möchte mich aufrichtig bei dir entschuldigen”, sagte ich und spürte den Atem rauh in meiner Kehle. „Es ist diese Menschenmenge. Etwas spielt verrückt mit meinen… Barrieren.”
Sie nickte und akzeptierte diese Erklärung. „Ich hasse solche Angelegenheiten. Ich versuche immer, sie zu vermeiden, es sei denn, ich muß hin. Laß uns für einen Moment an die Luft gehen, Lew.” Sie führte mich auf einen der kleinen Balkone, wo ein feiner, dünner Regen fiel. Erleichtert atmete ich die feuchte Kühle ein. Sie trug einen dünnen schwarzen Schleier, der wie Flügel hinter ihr herflatterte und in der Dunkelheit schimmerte. Ich konnte dem Impuls, sie in die Arme zu schließen, mich an sie zu drängen und meine Lippen auf ihre zu pressen, nicht widerstehen - wieder zwinkerte ich und starrte in die kühle, regenlose Nacht zu den leuchtenden Sternen, und Callina stand ruhig in ihrem leuchtenden Gewand. Plötzlich wurde mir schwach und übel, und ich klammerte mich an die Balkonbrüstung. Ich spürte, wie ich in unendliche Femen fiel, ein wildes Nirgendwo im leeren Raum …
Callina sagte ruhig: „Es ist nicht nur die Menschenmenge. Hast du Kirian, Lew?” Ich schüttelte den Kopf und versuchte, die richtige Perspektive der Welt wiederzuerlangen. Dafür war ich zu alt, verdammt. Die meisten Telepathen lassen diese psychischen Ausbrüche mit der Pubertät hinter sich. Ich hatte keine Schwellenkrankheit mehr gehabt, seit ich zum Arilinn gekommen war. Und ich hatte keine Ahnung, warum es mich gerade jetzt überkam. Sanft sagte Callina: „Ich wünschte, ich könnte dir helfen, Lew. Du weißt, was dir fehlt, nicht wahr?” Sie berührte mich leicht wie eine Feder und ging. Ich stand in der kalten Luft auf dem Balkon und fühlte den Stachel in ihren Worten. Ja, ich wußte, was falsch war, und wollte doch nichts davon wissen, daß sie mich von jenseits der Barrikade ihrer eigenen Unverletzlichkeit daran erinnerte. Sie teilte meine Bedürfnisse und Begierden nicht; es war eine Qual, von der sie als Bewahrerin
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