Hasturs Erbe
Hand auf ihr geschwollenes Gesicht. Sie sagte, in dem Versuch, sich zu verteidigen: »Was für ein Theater um nichts! Er ist stärker als wir alle!«
Meine Angst um Kermiac hatte sich in eine Wut verwandelt, die fast ebenso groß war wie die Beltrans. Wie konnte Thyra es wagen, so etwas gegen seinen Willen und Marjories Urteil zu tun? Ich wußte, daß ich ihr nicht vertrauen konnte, dieser verdammten Schlange! Ich wandte mich zu ihr und hielt Marjorie dabei mit einem Arm fest. Sie wich zurück wie unter einem Schlag. Das brachte mich schockartig wieder zu Sinnen. Eine Frau schlagen? Langsam und mit gesenktem Kopf wickelte ich die Hülle wieder um die Matrix. Das war unsere Wut. Sie war ebenso gefährlich wie das, was Thyra getan hatte.
Marjorie konnte nun wieder allein stehen. Ich legte ihr die Matrix in die Hand und ging zu Thyra. Ich sagte: »Ich werde dir nicht weh tun, Kind. Aber was hat dich besessen, daß du so etwas tun konntest?« Eines der obersten Gesetze eines jeden Telepathen lautete, niemals einem anderen seinen Willen oder sein Urteil aufzuzwingen …
Der Trotz hatte ihre Miene verlassen. Sie befühlte die Wange, auf die Beltran sie geschlagen hatte. »Ehrlich, Lew«, sagte sie fast flüsternd, »ich weiß es nicht. Ich spürte, daß wir irgend jemanden brauchten, und in der Vergangenheit hat diese Matrix die Aldarans gekannt. Sie wollte Kermiac – nein, das klingt unsinnig, oder? Und ich spürte, daß ich es tun konnte und mußte, weil Marjorie es ablehnte … ich konnte mich nicht zurückhalten. Ich habe mich selbst dabei beobachtet, und ich hatte Angst …« Hilflos begann sie zu weinen.
Ich trat auf sie zu, nahm sie in den Arm und hielt sie an mich gepreßt, während ihr nasses Gesicht an meiner Schulter ruhte. Ich spürte ihre bebende Zartheit. Angesichts dieser Kraft waren wir alle hilflos geworden. Meine Gefühle hätten mich warnen sollen, aber ich war zu bestürzt, um die Mahnung zu registrieren. Ihr warmer Körper in meinen Armen hätte mich zu diesem Zeitpunkt ebenfalls warnen müssen, aber ich ließ zu, daß sie sich an mich klammerte und schluchzte, bevor ich ihr nach ein paar Minuten sanft auf die Schulter klopfte, ihr die Tränen abwischte und mich umwandte, um Beltran aufzuhelfen. Steif stand er auf und rieb sich die Hüfte. Ich seufzte und sagte: »Ich weiß, was du fühlst, Beltran. Es war eine gefährliche Sache. Aber auch du hattest unrecht, indem du die Beherrschung verloren hast. Ein Matrix-Techniker muß jederzeit seine Gefühle unter Kontrolle haben – immer.«
Trotz und Reue kämpften in seinem Gesicht. Er rang nach Worten. Ich hätte darauf warten müssen – schließlich war ich für den ganzen Zirkel verantwortlich –, aber mir ging es zu schlecht, und ich fühlte mich zu ausgelaugt, um es auch nur zu versuchen. Daher sagte ich nur kurz angebunden: »Sieh lieber nach, ob der Hubschrauber Schaden genommen hat.«
»Weil er aus einer so geringen Höhe auf den Boden stürzte?« Jetzt klang seine Stimme verächtlich. Auch das machte mir Sorgen, doch ich war zu müde, um darauf zu achten. Ich sagte: »Wie du willst. Es ist deine Maschine. Wenn das bei deiner Anwesenheit im Zirkel herauskommt, werde ich verdammt noch mal dafür sorgen, daß du dich demnächst in einer Meile Entfernung aufhältst.« Und damit wandte ich ihm den Rücken zu.
Marjorie stützte sich auf Rafe. Sie hatte aufgehört zu weinen, doch Augen und Nase waren noch gerötet. Sie sagte mit leiser, bebender Stimme: »Mir geht es wieder besser, Lew. Ehrlich.«
Ich blickte zu Boden. Jetzt lag der Schnee schon mehrere Zentimeter hoch. Innerhalb einer Matrix verliert man immer jegliches Zeitgefühl. Es schneite heftiger als zuvor, und der Himmel verdunkelte sich. Meine zitternden Hände warnten mich. Ich sagte: »Wir alle brauchen etwas zu essen und Ruhe. Lauf voraus, Rafe, und sage den Dienern, daß sie uns eine Mahlzeit vorbereiten.«
Ich hörte ein vertrautes metallisches Dröhnen und sah auf. Der andere Hubschrauber kreiste über uns. Beltran ging auf ihn zu. Ich wollte ihm nachrufen, ihn herbefehlen – auch er war sicher ausgelaugt und brauchte Nahrung und Ruhe. Doch in diesem Moment war mein einziger Gedanke: Laß ihn doch zusammenbrechen. Es täte ihm gut, wenn er lernte, daß dies kein Spiel war. Wie ließen ihn zurück.
Auch hatte ich mich bei Kermiac zu entschuldigen. Es spielte keine Rolle, daß seine Einbeziehung gegen meinen Befehl geschehen war. Ich war für die Matrix verantwortlich. Ich
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