Hasturs Erbe
nicht angefranst oder dünn geworden. Nur so lange also, bis meine Wunden von den Prügeln verheilt waren und ich mir irgendwie neue zugezogen hatte, darunter diese gräßliche Verbrennung an der Hand. Mit einem letzten kläglichen Blick auf die Ruine meines Gesichts wandte ich mich vom Spiegel ab. Was immer ich an mir vielleicht als gutaussehend gefunden haben mochte, es war verschwunden. Viele von den Narben waren verheilt, was bedeutete, sie würden niemals besser aussehen als jetzt.
Meine Matrix steckte in dem Beutel, der um meinen Hals hing, wenngleich man die Schnur, die Kadarin durchgeschnitten hatte, durch ein Seidenband ersetzt hatte. Ich fingerte sie heraus. Bevor ich noch den Stein enthüllt hatte, flammte ein goldenes, brennendes Bild heraus … Sharra! Mit einem Schauder des Entsetzens warf ich sie wieder in den Beutel.
Was war geschehen? Wo war Marjorie?
Ob sie nun durch meinen Gedanken herbeigerufen oder ob dieser durch ihre herannahende Erscheinung ausgelöst wurde – jedenfalls hörte ich die Türriegel quietschen, und sie kam in das Zimmer, blieb stehen und sah mich mit einer sonderbaren Furcht an. Mein Herz sank mir bis zu den Schuhsohlen. War dieser Traum etwa wahr gewesen? Einen schmerzhaften Augenblick lang wünschte ich mir, wir wären beide in den Wäldern umgekommen. Schlimmer als Folter, schlimmer als Tod war der furchtsame Blick Marjories.
Dann sagte sie: »Gott sei Dank! Jetzt bist du wach und erkennst mich!« Sie warf sich in meine Arme. Ich zog sie fest an mich. Niemals wieder wollte ich sie loslassen. Sie schluchzte: »Jetzt bist du wieder du selbst! Die ganze Zeit über hast du mich nie angesehen, nur die Matrix …«
Kaltes Entsetzen überflutete mich. Dann war also einiges real gewesen?
Ich sagte: »Ich kann mich an nichts erinnern, Marjorie, an gar nichts, seit mich Kadarin unter Drogen gesetzt hat. Ich weiß nur, daß ich die ganze Zeit über in diesem Raum gewesen bin. Was meinst du?«
Ich spürte, wie sie zitterte. »Du kannst dich an gar nichts erinnern? Nicht an das Schmiedevolk, nicht an die Feuer in Caer Donn?«
Meine Knie begannen zu versagen. Ich sank auf das Bett und hörte meine brüchige Stimme: »Ich erinnere mich an nichts, absolut an nichts, nur an schaurige Träume …« Die Bedeutung von Marjories Worten machte mich elend. Mit großer Anstrengung bekämpfte ich den Aufruhr in meinem Inneren, und es gelang mir zu flüstern: »Ich schwöre es, ich erinnere mich an nichts, an nichts. Was immer ich getan haben mag … sag mir in Zandrus Namen, habe ich dich verletzt, dich mißhandelt?«
Sie legte wieder die Arme um mich und sagte: »Du hast mich nicht einmal angesehen. Geschweige denn berührt. Deshalb habe ich gesagt, so könnte ich es nicht weiter ertragen.« Ihre Stimme erstarb. Sie legte ihre Hand auf meine. Ich schrie vor Schmerz auf, und sie nahm sie rasch beiseite und sagte: »Deine arme Hand!« Sie sah sie sich genau an. »Aber es ist besser geworden, viel besser.«
Ich mochte mir nicht vorstellen, wie es ausgesehen haben mußte, wenn es nun besser sein sollte. Kein Wunder, daß Feuer durch meine Alpträume geflammt, gerast und getobt war. Aber wie, im Namen aller Teufel der Hölle, hatte ich mir das zugezogen?
Es gab nur eine Antwort. Sharra. Kadarin hatte mich irgendwie wieder in den Dienst der Sharra gezwungen. Aber wie, wie? Wie konnte er sich meine Gedanken zunutze machen, wenn mein Bewußtsein ganz woanders war? Ich hätte schwören können, daß dies unmöglich war. Matrixarbeit erforderte bewußte, konzentrierte Handlungsfähigkeit … Ich ballte die Fäuste zusammen. Wegen der rasenden Schmerzen in der Handfläche lockerte ich sie wieder.
Er hatte es gewagt! Hatte gewagt, mir meine Gedanken, mein Bewußtsein zu stehlen …
Aber wie? Wie?
Es gab nur eine Antwort, eine einzige Sache, die er getan haben konnte, nämlich all die frei umherschwimmende Wut, den Haß und die Verachtung meiner Gedanken zu benutzen, wenn meine rationale Kontrolle außer Kraft gesetzt war – und all das zu nehmen und durch Sharra zu leiten! All meinen brennenden Haß, all die Wahnsinnsideen meines Unbewußtseins, befreit von der Kontrolle, mit der ich sie zurückhielt, in dieses heimtückische Ding einspeisen.
Er hatte mir das angetan, während mein Verstand aufgehoben war. Daneben wirkte Dyans Verbrechen wie ein Dummenjungenstreich. Mein zerstörtes Gesicht, die Verbrennungen in der Hand waren nichts dagegen. Er hatte mir mein Bewußtsein gestohlen. Er hatte
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