Hauch der Verfuehrung
wirklich, dass diese Modistin auch die Richtige ist, mein Lieber?«
»Helen ist nicht als Schneiderin für Abendkleider bekannt. Sie hat sich auf das Entwerfen und Anfertigen von Kleidern für Künstlermodelle spezialisiert.«
Vier Lippenpaare formten ein erstauntes »Oh!«.
Er bedeutete allen, zur Tür zu gehen. Helen erwartete nur ihn und Jacqueline heute Morgen; er hoffte, der unerwartete Ansturm würde ihre räumlichen Möglichkeiten nicht übersteigen.
Er hatte die ganze Nacht in seinem Atelier auf dem Dachboden gemalt. Erst als es sehr spät war - in den frühen Morgenstunden -, als Jacqueline gar nicht gekommen war, da war ihm eingefallen, dass er vergessen hatte, ihr zu beschreiben, wie sie von ihrem Zimmer zum Dachgeschoss kam. Durch den Umbau war der Dachboden wie eine eigene Wohnung; man betrat sie über eine Außentreppe, die von der Nebenstraße aus nach oben führte. Es gab noch eine Verbindungstür und eine Treppe im Haus, aber die waren nicht offen zu sehen.
Er hoffte ehrlich, dass sie nicht nachts auf die Suche gegangen war. Minnie hatte einen erschreckend leichten Schlaf.
So blieb ihm nichts anderes übrig, als weiterzumalen; er hatte nicht daran gedacht zu fragen, welches Zimmer sie erhalten hatte. Daher war er wieder zur Staffelei zurückgekehrt, um das Rankengewirr, das den Zugang zum Garten der Nacht umrahmte, mit den letzten Details zu versehen.
Wegen seiner Verabredung mit Helen heute Morgen hatte er nicht lange schlafen können; seine Laune war deshalb nicht die beste. Es würde ihm schwerfallen, Geduld für all die weibliche Hilfsbereitschaft aufzubringen, was ihm normalerweise keine Probleme bereitete, die er aber gewöhnlich wie die Pest mied.
Er liebte Patience, Minnie und Timms, doch nun benötigte er ihre Hilfe nicht.
Helen blinzelte überrascht, als sie der Reihe nach in den Salon im ersten Stock traten, fing sich aber rasch. Nachdem Gerrard alle vorgestellt hatte, zeigte die Modistin den vier Zuschauerinnen ein langes Sofa vor den Fenstern zur Straße, bestellte Tee und Gebäck - und dann entschuldigte sie sich, Gerrard und Jacqueline mit einem Lächeln, entführte sie in einen kleineren Raum mit allen möglichen Arbeitsutensilien.
»Besser?«, fragte sie Gerrard.
Er seufzte und nickte. »Ja, danke. Sind das hier die Satinstoffe?« Er nahm einen Stapel Stoffmuster in die Hand.
Jacqueline, Helen und er standen um den Tisch herum; Helen und er diskutierten Schnitte und Stile, fertigten Skizzen an, während Jacqueline stumm zuhörte. Doch nachdem über Schnitt und Faltenwurf entschieden war und es um die Wahl der Farbe ging, beteiligte sie sich mit eigenen Ideen und Ansichten an dem Gespräch.
Sie hatte einen so guten Blick für Farben wie er und wusste genau, was ihr stand. Rasch einigten sich alle darauf, dass Shantungseide in einem schimmernden Bronzeton mit eingewobenen messingfarbenen Fäden ideal war.
»Die Falten fangen das Licht unterschiedlich ein, sodass alle Rundungen betont werden, besonders im Schein einer Lampe.« Helen drapierte eine Stoffbahn über Jacquelines Schulter, über ihren Busen bis zur Hüfte, dann stellte sie sich hinter sie und straffte den Stoff. »So.« Sie fasste an ihr vorbei und korrigierte die Seide. »Was meinen Sie?«
Gerrard betrachtete die Wirkung. Seine Lippen verzogen sich langsam. »Perfekt.«
Sie vereinbarten für die folgenden vier Tage Termine für die Anproben, dann führte Gerrard Jacqueline nach draußen zu ihren inzwischen gründlich gelangweilten Helfern. In wesentlich besserer Stimmung als bei ihrer Ankunft geleitete er alle wieder zu den Kutschen.
Er fuhr Jacqueline zurück in die Brook Street; dort entdeckte er vor der Eingangstür auf der Straße eine schwarze Stadtkutsche ohne Wappen. Die Pferde wurden von einer nur allzu vertrauten Gestalt gehalten.
»Seine Gnaden?«, erkundigte er sich resigniert bei Matthews, einem der Pferdeburschen von Devil Cynster.
Matthews grinste mitleidig. »Die Herzoginwitwe und Lady Horatia, Sir.«
Himmel hilf! Er liebte sie alle, aber ...
Unter anderem war er ein wenig besorgt, dass Jacqueline seine weibliche Verwandtschaft - besonders wenn sie in Scharen auftrat - ein bisschen zu überwältigend finden und die Flucht ergreifen könnte. Doch als er sie ins Haus und in den Empfangssalon führte, rief er sich ins Gedächtnis, dass es nur fair war, sie seiner ausgedehnten Familie vorzustellen, bevor er um ihre Hand anhielt. Wenn sie seinen Antrag annahm, wusste sie wenigstens, was sie
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