Hauch der Verfuehrung
...« Er brach ab, als vor seinem geistigen Auge ein Bild von zwei Männern auf dem Plateau erschien.
»Ja, aber es wäre nicht schwer gewesen.« Barnabys Stimme klang triumphierend. »Erstens war Entwhistle in die Beobachtung des Zyklopen versunken, und zweitens« - Barnaby fing Gerrards Blick auf - »stand Entwhistle gar nicht. Du hast die Stelle doch gesehen - was wäre natürlicher, als sich hinzusetzen, während du mit einem guten Freund plauderst und in die Ferne schaust?«
Gerrards Gedanken überschlugen sich. »Das bedeutet aber, dass der Mörder nicht groß sein muss.«
»Nein, gar nicht.« Barnaby runzelte die Stirn. »Verdammt. Das treibt die Zahl der Verdächtigen wieder in die Höhe.«
»Aber es muss dennoch ein Mann gewesen sein.«
»Ja. Die Größe des Steines - und es besteht eine gute Chance, dass es genau der Stein war - macht das wahrscheinlich. Selbst wenn Thomas gesessen hat, wäre es einer Frau schwergefallen, den Brocken aufzuheben - und wenn es eine Dame war, hätte Thomas es bemerkt. Mehr noch, die guten Manieren hätten von ihm verlangt aufzustehen, wenn sie das tat. Nein.« Barnaby schüttelte den Kopf. »Eine Frau hätte das nicht bewerkstelligen können.«
Sie erreichten die Treppe, die zur Terrasse führte; mit einem flüchtigen Grinsen nahm Gerrard immer zwei Stufen auf einmal.
»Was ist?«, fragte Barnaby, dem das Grinsen nicht entgangen war.
Gerrard blickte ihn an. »Es gibt noch einen wesentlich einleuchtenderen Grund, weshalb es keine Dame gewesen sein kann.«
Barnaby zog die Stirn kraus, zerbrach sich den Kopf und seufzte dann. »Und der wäre?«
»Auf diesen Felsvorsprung zu gelangen - das ist uns nur mit Mühe gelungen, ohne unserer Kleidung ernsthaften Schaden zuzufügen.« Gerrard deutete auf eine Schramme im Leder seines Stiefels und einen Schmutzfleck auf seinem Hosenbein. »Wie Wilcox schon gesagt hat, es ist eine elende Kraxelei. Keine Dame in einem Nachmittagskleid hätte das geschafft und wäre dann ins Haus zurückgekehrt, ohne dass sich ihr Äußeres in einem Zustand befunden hätte, der zweifellos für Aufsehen gesorgt hätte. Alle würden sich daran erinnern.«
»Ausgezeichnet beobachtet«, lobte Barnaby. »Es war auf keinen Fall eine Dame.«
»Daher«, schlussfolgerte Gerrard mit entschlossen gerecktem Kinn, während er ins Haus voranging, »war es auch keinesfalls Jacqueline.«
Sie kam nicht zum Essen herunter.
»Sie hat um ein Tablett auf ihr Zimmer gebeten«, erwiderte Millicent auf Gerrards Nachfrage hin. »Sie sagte, sie brauche etwas Zeit allein für sich, um den Schrecken zu verarbeiten.«
Er antwortete mit einem gemurmelten »Natürlich« und tat so, als akzeptiere er die Erklärung, aber innerlich kochte seine Phantasie über.
Wie sonst auch verlief das Essen sehr ruhig, sodass Gerrard reichlich Zeit hatte nachzudenken. Mit ein paar gestelzten Bemerkungen machte Lord Tregonning klar, dass er das Thema Entwhistles Tod als erledigt betrachte. Barnaby warf Gerrard einen fragenden Blick zu, wollte wissen, ob sie dem widersprechen sollten; beinahe unmerklich schüttelte Gerrard den Kopf und machte mit den Lippen: »Noch nicht.«
Seine erste Sorge galt Jacqueline.
Nach dem Dinner wurde er immer rastloser, gesellte sich aber dennoch zu Millicent und Barnaby in den Salon.
»Dieser jüngste Unsinn«, verkündete Millicent, »ist wirklich unerträglich! Es ist schrecklich für Jacqueline und für den armen Thomas auch. Während die Leute annehmen, sie sei daran schuld, läuft der wahre Mörder frei und unbehelligt herum.«
Er und Barnaby versicherten ihr, dass sie strikt dagegen seien, die Sache auf sich beruhen zu lassen. Versöhnt bestätigte Millicent, dass, obwohl ihre Freunde und Bekannten aus der Gegend sie stets über alles auf dem Laufenden gehalten hatten, sie nie von einem Streit gehört hatte, an dem Thomas beteiligt gewesen wäre. Nichts, was zu einem Mord hätte führen können. Das schied als Motiv also aus, weshalb sie sich dem anderen in Betracht kommenden Grund zuwandten, nämlich dass jemand Thomas umgebracht hatte, weil er kurz davor stand, um Jacquelines Hand anzuhalten - und sie seinen Antrag höchstwahrscheinlich angenommen hätte.
Gerrard sah Millicent an. »Stimmt das soweit - dass er um sie anhalten wollte und sein Antrag Erfolg gehabt hätte?«
»O ja. Die Verbindung war in jeder Hinsicht begrüßenswert.«
»Also wer«, fragte Barnaby, »waren die eifersüchtigen Nebenbuhler, die sich durch Thomas’ Erfolg bei
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