Hauch der Verfuehrung
Jacqueline bedroht fühlten?«
Er nannte Matthew Brisenden, aber Millicent verwarf das in Bausch und Bogen. Und sie blieb dabei, obwohl Barnaby nachhakte.
»Nein, nein - er ist in die Rolle ihres Beschützers geschlüpft - wie ein Ritter aus früheren Zeiten. Seine Pflicht ist es, ihr zu dienen, nicht, sie zu heiraten. Sie sollten sein Verhalten nicht allzu ernst nehmen und daraus schließen, dass er wahrhaftig Interesse daran hat, sie zu heiraten - das hat er mit Sicherheit nicht.«
Widerstrebend bestätigte Gerrard, dass Jacqueline etwas Ähnliches gesagt habe.
»Genau.« Millicent nickte. »Ich denke nicht, dass Sie annehmen können, Matthew sei eifersüchtig auf Thomas gewesen.«
»Dennoch«, warf Barnaby ein, »hatte Brisenden vielleicht Grund, in Thomas eine Bedrohung für Jacqueline zu sehen. Das wäre ein ähnlich starkes Motiv für ihn, Thomas anzugreifen, und es steht ja nun einmal fest, dass er damals in der Gegend war.«
Millicent verzog das Gesicht. »Ich hasse es, das zuzugeben, aber das könnte sein. Trotzdem halte ich Sir Vincent Perry für vielversprechender. Er hat schon seit Jahren ein Auge auf Jacqueline geworfen.«
Also kam Sir Vincent, den Barnaby und Gerrard erst noch kennenlernen mussten, auf ihre Liste zusammen mit mehreren anderen ihnen bislang Unbekannten. Danach fühlten sie sich alle irgendwie entmutigt. Barnaby räumte ein, dass es vielleicht sogar unmöglich wäre, jetzt noch zu beweisen, wer Thomas getötet hatte. Mit dieser nüchternen Erkenntnis zogen sie sich in ihre Zimmer zurück.
Auf der Galerie trennten sich auch Gerrard und Barnaby.
Gerrard sprach mit Compton, erfuhr aber nichts Nützliches.
»Sie stehen alle unter Schock. In ein oder zwei Tagen, wenn sie darüber reden, fällt dem einen oder anderen ja vielleicht noch etwas Hilfreiches ein. Ich werde weiter genau zuhören, darauf können Sie sich verlassen.«
Compton zufolge hatte niemand von der Dienerschaft je in Erwägung gezogen, dass Jacqueline entweder etwas mit Thomas’ Verschwinden oder gar mit dem Tod ihrer Mutter zu tun haben könnte. »Dergleichen scheint ihnen überhaupt nicht in den Sinn gekommen zu sein.«
Gerrard entließ Compton und stellte sich ans Fenster, die Hände in den Taschen, und dachte darüber nach, was sie über die beiden Todesfälle wussten. Wenn die Leute die Tatsachen vernunftmäßig betrachtet hätten und ohne Vorurteile, dann wäre ihnen Jacquelines Unschuld sofort klar gewesen. Aber das hatten sie nicht, und sie würden es auch nicht, weil jemand den Schatten des Verdachtes auf sie geworfen hatte, und zwar mit Absicht.
Jemand hatte aus Bosheit Jacqueline als Sündenbock hingestellt.
Etwas Wildes, Finsteres bäumte sich in ihm auf wie eine Raubkatze. Er stieß einen Fluch aus und drängte diese Empfindung zurück. Jetzt war nicht die Zeit dafür - er kannte den Feind nicht, noch nicht.
Er schaute in die dunklen Gärten, in den schwarz-lila Himmel und auf die heraufziehenden Wolken, die sich zu phantastischen Formen ballten, während der Wind sie von Westen heranblies. Sie waren der Traum eines jeden Landschaftsmalers, doch er nahm sie kaum wahr.
Jacqueline zu retten war für ihn lebenswichtig. Nicht nur zu ihrem eigenen Wohle, sondern auch zu seinem.
Wie sie fühlte, wie sie war. Das war seine Sorge, die alles andere überstieg; seit Barnaby ihnen von dem Leichnam erzählt hatte, waren die Fragen nicht aus seinem Kopf gewichen. Er war besorgt, beunruhigt ihretwegen - hatte Angst um sie, sein Herz war verunsichert, sein Magen wie ein Kloß.
Ein Teil von ihm wollte so tun, als seien es seine Instinkte als Maler, die sie emotional aufgewühlt sehen wollten, aber das war Quatsch. Er hatte sie sehr gerne, so wie Patience und andere Frauen wie Amelia und Amanda ... das kam der Wahrheit schon näher - war aber auch wieder nicht alles.
Seine Phantasie war zu aktiv, um sich nicht auszumalen, wie sie allein in ihrem Zimmer hockte und trauerte, ja, aber mehr - ihre Einsamkeit fühlte, ihre Hilflosigkeit. Einmal war Thomas ihr Märchenprinz gewesen, doch er war verschwunden, hatte sie verlassen - aber wenigstens wusste sie jetzt, dass er es nicht freiwillig und absichtlich getan hatte.
Und jetzt war er ihr Ritter in schimmernder Rüstung.
Er kehrte den Fenstern den Rücken und ging auf und ab. Die Uhr hatte elf geschlagen; er starrte sie finster an; sie mahnte ihn, wie viele Stunden noch er erdulden musste, bevor er sie wiedersah, bevor er und dieser beharrliche und seltsam
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