Haunted (German Edition)
ohne dass Julian ihn sah, schaute er auch in seinem Arbeitszimmer und im Bad nach.
Das obere Stockwerk war sauber, alles war sicher, und Julian ging wieder die Treppe hinunter, kehrte in sein Schlafzimmer zurück, kroch neben Claire ins Bett, und obwohl er damit rechnete, mindestens eine Stunde lang wach zu liegen, schlief er sofort ein.
Am Morgen wachte er spät auf, obgleich es ein Sommer-Samstag war und es daher keine große Rolle spielte. Claire war bereits wach, ihre Seite des Bettes war kalt, und der Duft von getoasteten Heidelbeer-Bagels breitete sich im Haus aus. Julian warf die Bettdecke zurück, zog seinen Morgenmantel an und marschierte in die Küche, wo er von leeren Tellern in einer leeren Frühstücksecke begrüßt wurde. Durch die Fenster konnte er Claire sehen, die noch in Morgenmantel und Hausschuhen nach ihrem Kräutergarten sah. Die Kinder, so nahm er an, waren in ihren Zimmern und zogen sich an oder schauten im Familienzimmer Fernsehen.
Die Schachtel mit vorgeschnittenen Bagels lag noch offen auf der Theke, und er zog zwei auseinander, steckte sie in den Toaster und schenkte sich etwas Orangensaft aus einer Pack-ung ein, die er aus dem Kühlschrank holte. Als er auf die Bagels wartete, warf er einen Blick auf den Naturschutz-Kalender, den Claire an der Wand neben der Tür aufgehängt hatte. Unter dem Juli-Foto einer Kojote-Mutter mit ihrem Baby markierte ein rotes X das Datum, an dem sie in das Haus eingezogen waren. Es war jetzt schon über drei Wochen her, und er stellte fest, dass sie noch keinen einzigen Nachbarn kennengelernt hatten. Von Welcome Wagon hatte sich keiner gemeldet, als sie angekommen waren, keiner war vorbeigekommen, um Hallo zu sagen, und auch wenn Claire sich in der ersten Woche die Mühe gemacht hatte, bei den Häusern auf beiden Seiten vorbeizuschauen, war niemand zu Hause gewesen. Seitdem ging es so hektisch zu, mit dem Auspacken und Eingewöhnen, dass sie irgendwie vergessen hatten, sich den Nachbarn vorzustellen.
Julian dachte an den Willet-Jungen und seine Skate-Rabauken-Freunde in ihrer alten Nachbarschaft und beschloss, dass sie wirklich versuchen sollten, hier einen guten Start hinzulegen. Heute war so gut wie jeder andere Tag, da sie nichts vorhatten und alle zu Hause waren. Der Toaster klingelte; er nahm die Bagels heraus, schmierte Butter darauf, legte sie auf einen Teller und lief barfuß in den Garten, um mit Claire über seine Gedanken zu sprechen. Sie hielt es ebenfalls für eine gute Idee, die Nachbarn kennenzulernen, und sie beschlossen, gegen zehn Uhr den Häusern auf beiden Seiten der Straße einen Besuch abzustatten. Das war eine zivilisierte Uhrzeit, nicht zu früh, nicht zu spät.
Bevor er sich duschte, teilte Julian den Kindern den Plan mit und warnte sie, nirgends hinzugehen, und obwohl sie jammerten und sich auf ihre eigene einzigartige Art beschwerten, gab es keinen echten Widerstand, und er konnte sehen, dass sie ebenso neugierig auf die Nachbarn waren. In der Straße schien es keine Kinder zu geben – etwas Gutes, was Julian anging –, aber wer wusste das heutzutage schon? Die Häuser in der Umgebung könnten voller Jungen und Mädchen sein, die ihre Tage über ihren DS gebeugt verbrachten oder mit ihren Wiis und Xboxes spielten und nie ans Tageslicht gingen. Irgendwie hoffte er, dass dies der Fall war. Besonders James zuliebe. Es wäre schön für den Jungen, einen Freund in der Nachbarschaft zu haben.
Kurz nach zehn liefen alle vier zu dem Haus nördlich von ihrem hin, ein einstöckiges Gebäude mit einem einfachen, aber gut gepflegten Rasen und einem beeindruckenden Panoramafenster vorne. In der Einfahrt stand kein Fahrzeug, aber das bedeutete nicht, dass die Nachbarn nicht zu Hause waren. Vielleicht parkten sie ihr Auto in der Garage. Oder vielleicht war der Ehemann oder die Ehefrau zum Supermarkt gefahren, und der andere Partner war trotzdem im Haus. Oder vielleicht hatten sie einen jugendlichen Sohn oder eine jugendliche Tochter, die sich das Familienauto ausgeliehen hatte, um mit seinen oder ihren Freunden irgendwohin zu gehen.
Während er über die Möglichkeiten nachdachte, kam Julian nicht nur in den Sinn, wie wenig er über seine Nachbarn wusste, sondern auch wie erbärmlich unaufmerksam er war. Sie könnten neben einer neunzigjährigen Witwe wohnen oder neben einem fünfundzwanzigjährigen Junggesellen oder einem Schwulenpaar oder einer chinesischen Immigranten-Großfamilie, und er würde es nicht wissen – obwohl er von zu
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