Hauptsache, es knallt!
noch ein kleiner Nachschlag. Der Mann ist wirklich eine coole Sau. Zwei Stimmen tönen besonders laut. Bülent stupst mich an und zeigt nach hinten. Was für ein Schauspiel! Sven Wiesenhöfer und Maik Proschitzki singen tatsächlich aus einem Gesangbuch. Und sie haben Spaß. Keine zwei Superbestien, die sich zum Superendkampf getroffen haben. Nein, das sind mehr so zwei alte Kriegsveteranen, die sich auf dem Festakt zum fünfzigjährigen Waffenstillstandsjubiläum treffen. Sven hält das Buch hoch, Maik hat eine Lesebrille aufgesetzt. Sie schunkeln im Takt und lassen ihre Bässe dröhnen. Mit ganzem Herzen und voller Inbrunst. Manchmal etwas falsch, aber eins muss man ihnen lassen, sogar Diethart Füllkrugs Panzerfauststimme hat neben ihnen keine Chance.
Das Lied ist zu Ende. Es geht weiter, wie so ein Gottesdienst halt weitergeht. Pfarrer redet, wir singen, Pfarrer redet, wir singen, immer schön hin und her. Und irgendwann kommt unausweichlich zum zweiten Mal für heute das Ding mit dem Ja-Sagen. Langsam gewöhne ich mich daran. Wieder stehen Janina und Markus vorne. Wieder rückt ihr kurzer Textpart näher und näher. Und wieder formen sich aus den Wolken in meinem Kopf die Worte »Peng – verheiratet!«. Aber Jil, die schräg vor mir sitzt, wendet ihren Kopf nach hinten und lächelt mir kurz zu. Wieder erstaunliche Wirkung. Mein Befehlszentrum befiehlt nicht: »Hahaha!« Die diensthabenden Hirnzellen lümmeln auf einmal mit den Füßen auf dem Schreibtisch herum und sagen: »Warum wir? Kann ja auch mal wer anders.« Dafür umso mehr Betrieb in meinem Gefühlszentrum. Wollte Jil mich im Standesamt wirklich küssen, oder habe ich mir das am Ende nur eingebildet? Es ist schon wieder so weit weg. Ich verscheuche den Gedanken und konzentriere mich auf Janina und Markus. Ist ja immerhin der große Augenblick jetzt. Wie die beiden sich in die Augen schauen! Wie ihre Stimmen beim »Ja« erzittern! Wie sie sich küssen! Perfekte Momente! Für die Ewigkeit! Nichts kann sie zerstören!
Fast nichts.
»Zerstören« ist auch das falsche Wort. Maßlos übertrieben. »Beeinträchtigen«. Sagen wir »beeinträchtigen«. Okay, »spürbar beeinträchtigen«. Egal. Einfach Folgendes: Der Fotografenheini ist, ich erwähnte es bereits, Künstler. Der hat seine Ansprüche. Wenn er schon Fotos von einer kirchlichen Trauung macht, dann richtige. Und richtige Fotos macht man nicht mit dem Teleobjektiv. Nein, ein Teleobjektiv verzerrt immer die Realität. Völlig inakzeptabel. Der anspruchsvolle Fotograf muss, wenn es darauf ankommt, auch mal den Mut haben, auf Tuchfühlung zu gehen. Außerdem wichtig: Ein richtiger Fotokünstler lehnt den ganzen Digitalquatsch ab. Da klackt der Verschluss der guten alten Nikon fröhlich herum und bannt die Kunst auf einen echten Zehn-Euro-Schwarzweißfilm, während die Knipsgeräusche im Raum nachhallen. Und für Serienbilder benutzt ein echter Fotokünstler dieses komische Motordings, das man unten an die Kamera dranschraubt. Das transportiert den Film so irre schnell weiter, da es nur so eine Lust ist. Und es macht dabei »Rrrrk-Rrrrk-Rrrrk!«
Das sind die Fakten. Alles vielleicht ein bisschen lästig, aber muss man jetzt keinen Elefanten draus machen. Nur mit einer ausgesprochen kranken Fantasie könnte man assoziieren, dass Janina und Markus, während sie »ja« sagen, aus nächster Nähe von einem Amokläufer mit ratterndem Maschinengewehr niedergemetzelt werden. Aber selbst wenn es so wäre, die beiden sind gerade so trunken vor Liebe, dass sie es nicht einmal merken würden. Der Amokläufer würde ihnen irgendwann entnervt auf die Schulter tippen müssen, auf sein Maschinengewehr zeigen und auf die blutenden Einschussstellen, und dann würden sie es vielleicht ganz langsam kapieren. Doch ich schweife ab. Es ist ja kein Amokläufer, der hier so einen makaberen Krach macht, sondern nur der Fotografenheini mit seiner steinzeitlichen Dieselmotor-Knipse. Und ich bin sicher der Einzige, der so abartige Gedanken dazu hat … Okay, ich und Janinas Großonkel Rigobert (alias Schützengraben-Rigo, Risikoklasse: 3, Waffen: Schilderung von Kriegserlebnissen), der von dem Krach aufgewacht ist, sich hinter seiner Kirchenbank auf den Boden geworfen hat und nach seinem Stahlhelm tastet. Aber sonst alles perfekt.
Danach weiter wie gehabt. Singen, Worte, singen, Worte und schließlich der große Auszug aus der Kirche. Während es kiloweise Reis auf Janina und Markus herabregnet, hat die
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