Hauptsache, es knallt!
Hochzeitsrettungsgruppe endlich wieder Gelegenheit zum Austausch. Großonkel Rigobert und ich waren anscheinend doch nicht die Einzigen, die vorhin an Maschinengewehr gedacht hatten. Henriette, Patrick, Bülent, Jil, alle sind hellauf empört über den trampeligen Fotografenheini, der schon wieder an seinem nächsten Streich bastelt: Er versucht krampfhaft, Hochzeitsgäste und angeschnittene Grabsteine gemeinsam aufs Bild zu bekommen. Nun gut. Haken wir auch das ab. Schließlich folgt ja jetzt der vergnügliche Teil. Ein ganzer Nachmittag plus Abend plus Nacht im wunderschönen Schloss Walchenau, das die großartige Jil extra für diesen Tag vom fürchterlichen Drachen Weckenpitz befreit hat. Alles, was bisher doof war, wird dort vergessen sein. Und früher oder später werden Jil und ich im Lauf des Abends Zeit für uns finden. Ich sollte mich entspannen.
Henriette hat gestern mit Frau von Weckenpitz’ Vertreterin telefoniert. Eine Frau Talsdorf. Sehr angenehmes Wesen, sagte sie. Genießt es offensichtlich, endlich einmal selbst einen Abend auf dem Schloss ausrichten zu dürfen, und schien bereit, sich notfalls in zwei Hälften zu zerreißen, nur um der Hochzeitsgesellschaft ein angenehmes Fest zu bieten. Was will man mehr? Da macht es auch nichts aus, dass das Himmelsgrummeln nun schon wieder etwas lauter geworden ist und die Luft so schwer, dass man sie schneiden könnte wie eine Hochzeitstorte. Der mit Abstand am häufigsten vor der Kirche gesagte Satz ist deswegen nicht »Herzlichen Glückwunsch!« und auch nicht »Ich hatte dir die Autoschlüssel gegeben, Schatz«, sondern »Oha, da kommt aber heute noch was runter!«.
Das Schloss ist zum Glück nicht weit weg. Zweihundert Meter die Hauptstraße runter und dann links. Trotzdem steigen alle, die gratuliert haben, in ihre Autos. Die schweren Geschenke, das ungewohnte Schuhwerk, das drohende Gewitter, alles gute Gründe, auf einen kleinen erfrischenden Spaziergang zu verzichten.
An der Parkplatzausfahrt ist bereits eine Staubwolke zu sehen. Von Henriette und Bülent. Sie sind blitzschnell in Henriettes Wagen vorgeprescht, um, wie geplant, heimlich die Sitzordnung im Schloss zu überarbeiten. Jil, Patrick und ich begleiten derweil in aller Ruhe die Geschehnisse vor der Kirche. Bis sich die große Masse in Bewegung setzt, kann es noch dauern. Die Gratulierschlange vor Janina und Markus will und will nicht kürzer werden. Jil hat vorsichtshalber ein Gespräch mit Schnitzki-Proschitzki begonnen und versucht sich brennend für seine Yogakurse zu interessieren. Dummerweise steht unsere hübsche Freundin Linda daneben und interessiert sich auf einmal auch für Yogakurse. Und Maik Proschitzki interessiert sich wiederum dafür, dass Linda sich für Yogakurse interessiert. Aber das muss ja alles nichts Schlimmes bedeuten. Immerhin trägt er keine Uniform, und Linda ist nicht betrunken. Und Wiese-Sven steht mal wieder beruhigend weit weg von ihm in der Raucherecke. Sonst ist nicht viel los. Im Schatten der Linde wird erneut der Säugling gestillt, Turbo-Erich nimmt Einstellungen an seinem Rollstuhl vor, und Nichte Sinja bringt ein paar Kindern zwischen den Gräbern das Radschlagen bei.
»Schau mal, Tim, die, die da gerade ihre Glückwünsche loswird, das ist Tante Otti.«
»Die Dame mit den Hochzeitsspielen?«
»Ja. Siehst du das unheilvolle Funkeln in ihren Augen?«
»Gott sei uns gnädig.«
»Versuchen wir trotzdem, uns ein wenig zu entspannen.«
Das Entspannen gelingt mir exakt eineinhalb Minuten lang. Dann höre ich ein paar Meter neben mir die Stimme von Markus’ Vater.
»Könnte ich Sie einen Moment unter vier Augen sprechen, Herr Pfarrer?«
Gesangbuch
Während ich Herrn Mitscherlich und dem Pfarrer heimlich um die Ecke gefolgt bin, hatte ich durchaus Hoffnung, dass sie sich gleich in einem entspannten Gespräch versöhnen würden. Herr Mitscherlich würde sich für seinen windigen Mitarbeiter entschuldigen, dachte ich. Er würde Pfarrer Kühlbrodt schildern, wie sehr er den Burschen am Montag zusammenscheißen würde. Und er würde ihm anbieten, den Vertrag zu zerreißen und neu aufzusetzen. Und der Pfarrer würde das Angebot gerne annehmen. Und sich besorgt erkundigen, ob seine Predigt Herrn Mitscherlich nicht zu tief getroffen habe. Und Herr Mitscherlich würde sein Schwamm-drüber-Lächeln herausholen, sie würden sich die Hand schütteln und so weiter.
Aber es geht gerade in eine ganz andere Richtung. Herr Mitscherlich gibt dem Pfarrer nicht
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