Hauptsache, es knallt!
haben quasi die Welt neu geordnet. Kamerun liegt jetzt neben Grönland, und Brasilien nördlich von China.«
»Verstehe.«
»Pst. Es geht los.«
Tatsächlich. Die prächtige Eingangstür des Schlosses hat sich geöffnet. Eine Frau in rotem Kleid, flankiert von zwei Männern im Kellnerfrack steht bereit, um die Meute zu empfangen. Markus und Janina schauen sich kurz an. Dann holen beide tief Luft und machen, Hand in Hand, die ersten Schritte. Wir folgen ihnen. Durchatmen. Der wichtigste Teil ist geschafft. Kann man zufrieden sein. Der Einzige, der bis jetzt wirklich was abgekriegt hat, bin ich, aber ich will da jetzt gar nicht mehr groß rumjammern, schließlich bin ich ja hier nicht die Hauptfigur.
Kaum sind wir aber drei Schritte gegangen, packt mich ein kalter Schauder. Zwei große Hände haben sich von hinten auf meine Schultern gelegt. Und wie in einem Alptraum spüre ich, wie mir, genau wie befürchtet, die ersten Worte des tödlichsten aller tödlichen Stimmungslieder gegen den Hinterkopf prallen.
»HIER FLIEGEN GLEICH …«
Ich kann es nicht fassen. Hat dieser Füllkrug denn wirklich gar kein Gewissen? Kennt so ein Mensch kein Mitgefühl, keine Nächstenliebe? Doch im nächsten Moment kommt auch schon völlig unverhofft die Rettung. Vom Schloss her erschallt Mozart-Gedöns. Irgend so was Bekanntes, vielleicht auch Beethoven, was weiß ich. Jedenfalls ist es laut genug, dass Diethart Füllkrug sich unmittelbar nach »Löcher aus dem Käse« ganz flott wieder selbst abwürgt. Bravo, Frau stellvertretende Schlosschefin Talsdorf, das haben Sie großartig gemacht! Ich ahne schon jetzt, was Sie für eine Perle sind. Natürlich, bisschen dick aufgetragen, hier so in Open-Air-Festival-Lautstärke Klassik in die Luft zu ballern. Und die Tonqualität, na ja, weiß man auch im ersten Moment nicht, ob das Geigen oder Schneidbrenner sein sollen. Aber das ist jetzt unwichtig. Um den Füllkrug zum Schweigen zu bringen, wären auch noch ganz andere Mittel recht gewesen.
Gerade als auch noch die Letzten in unserem Zug durch die Mozarthovenmusik in ungewollten Gleichschritt verfallen sind, kommen Markus und Janina vor dem Empfangstrio im Eingangsportal an. Ich linse durch die Lücke zwischen ihnen. Frau Talsdorf ist wirklich eine beeindruckende Erscheinung. Teures rotes Kostüm, kerzengerade Haltung und eine kunstvolle Frisur, die kaum weniger gekostet haben dürfte als die von Janina. Die Dame gibt einen Wink nach hinten, und sofort wird die Musik, zu der wir gerade marschiert sind, auf Gesäuselstufe heruntergefahren. Sie lächelt und schüttelt dem Brautpaar die Hände.
»Herr und Frau Mitscherlich, nehme ich an?«
Markus und Janina schauen sich verdutzt an. Klar. Es ist das erste Mal in ihrem Leben, dass sie mit ihrem gemeinsamen Nachnamen angesprochen werden. Janina fasst sich ein Herz.
»Ja, das sind wir.«
»Wie reizend! Ich gratuliere Ihnen herzlich zu Ihrer Vermählung und heiße Sie auf unserem schönen Schloss Walchenau willkommen.«
Klingt gut. Ich freue mich schon richtig auf den Kaffee.
»Ich darf mich vorstellen, mein Name ist Gesa von Weckenpitz. Ich gebe mir heute große Mühe, um Ihnen einen schönen Tag zu bereiten. Aber, bitte lassen Sie mich das kurz sagen, ich erwarte auch von Ihnen und Ihren Gästen, dass Sie sich ein wenig Mühe geben. Wir wollen ja schließlich alle, dass das heute ein gelungenes Fest wird, nicht wahr?«
Jil krallt sich so fest in meinen Arm, dass ich vor Schmerz laut aufschreien will. Und sie scheint ebenfalls vor Schmerz laut aufschreien zu wollen. Kein Wunder. Ich habe mich nämlich auch in ihrem Arm festgekrallt, merke ich gerade.
Vielen Dank auch
Frau von Weckenpitz hat mich und mein blaues Auge erst einmal in ihr Büro geführt, das hinter einer unauffälligen Tapetentür im Eingangsfoyer versteckt liegt. Jil und Henriette sind mitgekommen. Wir schauen auf einen beeindruckenden Schlossherrinnen-Schreibtisch. Riesiges antikes Ding, an dem bestimmt schon Johann Sebastian Bach mit Thomas Mann diskutiert hat, oder so. Von der Tischplatte ist allerdings kaum etwas zu sehen. Sie ist mit lauter Überwachungsmonitoren vollgestellt. Auf einem davon kann man beobachten, wie die Gäste in einen prächtigen Saal strömen, in dem eine gedeckte Kaffeetafel auf sie wartet. Eins a Bildqualität, gestochen scharf und in Farbe. Man weiß nicht nur sofort, warum der Kaffeesaal »Grüner Saal« genannt wird, man erkennt auch, dass Tante Otti drei kleine Leberflecken und eine Narbe
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