Haus der Angst
nichts passieren, Sebastian. In einer Stunde bin ich zurück.“ Plötzlich runzelte sie die Stirn. „Warte mal.“
Einen Moment lang glaubte er, dass sie ihre Meinung geändert habe und doch nicht allein fahren wollte. Stattdessen lief sie in die Küche, nahm ihren Laptop und meinte im Hinausgehen: „Ich nehme die Versuchung lieber mit.“
Als sie gerade zwei Minuten fort war, stürmten J. T. und Georgie in die Küche. Aber sie hielten Distanz zu ihm, wie zwei wachsame Hunde.
„Er sieht furchtbar aus“, flüsterte Georgie seinem Freund zu.
J. T. fragte Sebastian höflich: „Wie geht es dir denn heute Morgen, Sebastian?“
„Alles in allem wäre ich lieber in Wyoming. Was habt ihr Jungs denn vor? Ich dachte, ihr hättet eine Menge zu tun?“
„Wir sind fertig“, antwortete J. T.
„Das glaub ich nicht. Schauen wir uns doch mal den Garten deiner Mutter an und sehen nach, ob das ganze Unkraut herausgerupft ist.“
Das gefiel ihnen zwar überhaupt nicht, doch sie sagten es ihm lieber nicht. Sie stolperten wieder nach draußen, während Sebastian ihnen in langsamerem Tempo folgte. Er hatte höllische Schmerzen. Er konnte von Glück sagen, dass er nicht noch schlimmere Verletzungen davongetragen hatte. Aber darüber wollte er jetzt lieber nicht nachdenken.
Als sie Lucys Garten betraten, hatte er das Gefühl, von der Vergangenheit überwältigt zu werden: das Gefühl der warmen Erde unter seinen Füßen, der Gesang der Vögel und das Geräusch des Windes, der Duft von Blumen, Torf und gemähtem Gras. Dünne Bohnen hingen an üppigen Ranken. Grüne Tomaten reiften langsam in der Sonne. Fünf verschiedene Gemüsesorten befanden sich in unterschiedlichen Wachstumsstadien. Gurken, Sommerkürbisse und Zucchini wuchsen auf den etwas höher gelegten Beeten.
Daisy hatte solche Beete oder mit Rindenmulch bestreute Wege dazwischen nicht angelegt. Sie hatte mehr Gemüse angepflanzt. Der Garten war für sie nicht nur ein Hobby, sondern eine Lebensaufgabe gewesen. Was sie nicht selbst verwerten konnte, hatte sie verschenkt. Und sie hatte Sebastian auch immer mit Gartenarbeit beauftragt. Sie hätte nicht im Traum daran gedacht, ihn damit zu verschonen.
Nie hatte sie damit gerechnet, dass er das Grundstück nicht haben wollte. Sogar als sie alt war und schon im Sterben lag und er für sein Unternehmen eine Ranch in Wyoming kaufte, hatte sie ihm noch versichert: „Du erbst die Farm nach meinem Tod.“
„Ich will sie gar nicht“, hatte er geantwortet.
„Na und? Wenn du sie erst einmal hast, kannst du damit tun, was du willst. Ich habe sonst niemanden, dem ich sie vermachen könnte.“
„Du könntest sie einer Naturschutzorganisation schenken.“
Sie hatte nur verächtlich gelacht. „Solltest du in deinem Job getötet werden, bevor ich friedlich in meinem Bett sterbe, dann werde ich noch einmal über diese Möglichkeit nachdenken. Ich habe zu viel Arbeit in dieses Haus gesteckt, ich hänge daran. Wenn ich es hätte verschenken wollen, dann hätte ich das vor fünfzig Jahren getan.“
Er hatte sich nicht bemüht, ihre Logik zu verstehen. Daisy Wheaton hatte ihren eigenen Kopf, und sie würde sowieso tun, was sie wollte, ohne Rücksicht auf ihn zu nehmen. Sie hatte ihren Ehemann verloren und ihre Tochter, ihr einziges Kind, und sie hatte ohne sie weitergelebt und sich den Sinn für ihr Leben neu erschaffen.
„Du wirst schon das Richtige mit dem Haus und dem Grundstück tun“, hatte sie ihm später gesagt, als sie am Stock ging und sich nicht mehr um den Garten kümmern konnte. „Ich weiß, dass du es tust.“
Er hatte es an Lucy verkauft.
„Können wir angeln gehen?“ fragte J. T.
Sebastian schüttelte die Erinnerungen ab. Ihretwegen hatte er doch den verdammten Besitz verkauft. Er nahm einfach zu viel Platz in seinen Gedanken ein. „Nein. Rupft erst das Unkraut aus den Kürbisbeeten. Dann könnt ihr angeln gehen.“
„Aber Mom hat nicht gesagt, dass wir …“
„Ich sage es.“
J. T. blieb hartnäckig. „Du bist nicht unser Boss.“
Sebastian lächelte. Es war das erste Mal, dass der Junge ihn beeindruckt hatte. „Na und? Ihr werdet trotzdem erst das Unkraut jäten. Ich setz mich auf die Treppe und lass euch nicht aus den Augen.“
„Mom vertraut uns.“
„Schön für sie. Ich tu’s nicht. Denn bei der ersten Gelegenheit lauft ihr doch zum Fluss. Hat sie euch nicht gesagt, dass ihr nur mit einem Erwachsenen zum Angeln dürft?“
Sie gaben keine Antwort, was ein Ja bedeutete.
„Na
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