Haus der Angst
Fünfzehnjährige handelte. Wenn ein Erwachsener ein Kind bat, ein Geheimnis für sich zu behalten, war das immer ein sicherer Hinweis darauf, dass etwas im Busch war. Wenn es nicht um Weihnachts- oder Geburtstagsgeschenke ging, handelte es sich in der Regel um nichts Gutes.
Er wollte herausfinden, wer die Frau auf der Terrasse war, aber zunächst musste er dafür sorgen, dass Madison sicher nach Hause kam. Er lief so leise wie möglich den bewaldeten Hügel hinunter, und als er den Pfad erreicht hatte, hielt er sich mehrere Meter hinter ihr. Sie ging schnell; fast lief sie. Wer auch immer diese Frau sein mochte – Madison hielt sie für etwas Besonderes.
Sie hatten fast das Feld erreicht, als Sebastian sich bemerkbar machte. Erschrocken fuhr Madison herum, dann schmollte sie. „Hast du mich etwa verfolgt?“
„Ja. Ein Mädchen, das im Morgengrauen das Haus verlässt, kann man nicht alleine gehen lassen.“
„Das ist nicht wahr.“
Sie sah aus, als würde sie einen Tobsuchtsanfall bekommen. Sie waren zwar außer Hörweite der Ferienhäuser, aber wenn sie jetzt zu schreien begonnen hätte, dann hätte man das dort bestimmt mitbekommen. „Bloß keine Szene jetzt. Das macht keinen guten Eindruck.“
Madison schnaufte verächtlich – zum einen, weil sie außer Atem war, zum anderen, weil sie sich darüber ärgerte, erwischt worden zu sein. „Was willst du denn tun – mich an einem Baum festbinden?“
„Das wäre eine Möglichkeit.“
„Meine Mutter …“
„Deine Mutter würde dich auf einem Ameisenhügel festbinden.“
Das Mädchen schwieg beleidigt.
„Wer ist die Frau in dem Haus?“ fragte er.
Madison antwortete nicht.
„Na gut, dann gehe ich eben noch mal hoch, klopfe an die Tür und frage sie selbst.“
„Nein. Sie wird Schwierigkeiten bekommen.“
„Hat sie dir das gesagt?“
Madison achtete nicht auf den Ton seiner Stimme. „Das
weiß
ich“, sagte sie schnippisch und setzte ihren Weg fort, ließ ihn ein paar Schritte zurück.
Er fühlte sich schon wieder recht fit – sie konnte ihn nicht abhängen. Er dachte an seine Hängematte in Wyoming. An seine Pferde. Seine Hunde. Er hätte die Farmarbeiter zu einem Pokerspiel einladen können. Fünf Karten in der Hand, eine Zigarre im Mund und ein paar Sixpacks auf dem Tisch.
Verdammt noch mal, was hatte er hier eigentlich verloren?
„Die Frau arbeitet für deinen Großvater.“
Madison antwortete nicht und lief weiter.
Sebastian fiel es leicht, sie einzuholen. „Ich kann ihn anrufen und herausfinden, wer derzeit nicht in der Stadt ist …“
Unvermittelt blieb sie stehen und fuhr auf dem Absatz herum. Ihr Gesicht war weiß. „Nein, tu das nicht. Bitte. Ich hab es versprochen.“
„Was hast du versprochen. Dein Erstgeborenes?“
„Nein, aber ich habe mein Wort gegeben …“
„Nun, das kannst du rückgängig machen und mir stattdessen erzählen, was hier vor sich geht.“
„Warum sollte ich?“
„Dafür gibt es zwei Gründe. Der erste: Wenn du es nicht tust, werde ich es trotzdem herausfinden, aber ich wäre nicht so sauer, wenn du es mir selbst sagen würdest. Zweitens: Wenn du es mir erzählst, dann kann ich es deiner Mutter weitersagen und dafür sorgen, dass sie sich wieder beruhigt, bevor sie dir den Hintern versohlt.“
„Meine Mutter hält nichts von körperlicher Züchtigung.“
Das war keine Überraschung. Sebastian blieb gelassen. „Ich habe das nur symbolisch gemeint.“
Madison befeuchtete ihre Lippen. „Barbara hat ein Haus für meinen Großvater gemietet. Er kommt im August nach Vermont. Er hat sie gebeten, Mom nichts davon zu sagen. Er wollte sichergehen, dass alles klappt, bevor er ihr es selbst erzählt.“
„Warum?“
„Ich weiß nicht, aber so ist es eben. Es soll wohl eine Überraschung sein.“
„Barbara wer?“
„Barbara Allen. Sie ist die persönliche Assistentin meines Großvaters. Sie arbeitet schon ewig für ihn. Sie war sogar schon bei ihm, bevor du ihm das Leben gerettet hast.“
In Madisons Augen hatte Barbara also die älteren Rechte, und er war nicht halb so wichtig. Sebastian war amüsiert. Diese kleine Rotzgöre. Aber in ihren Augen lag echte Angst – nicht um sich selbst, sondern um eine Frau, der sie ihr Wort gegeben hatte. Diese Mischung aus Loyalität und Freundlichkeit hatte sie von ihrer Mutter geerbt – was das Mädchen vermutlich gar nicht wahrhaben wollte.
„Ich habe sie neulich zufällig getroffen“, fuhr Madison fort. „Und sie hat mich gebeten, keinem etwas
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