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Haus der bösen Lust (German Edition)

Haus der bösen Lust (German Edition)

Titel: Haus der bösen Lust (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Edward Lee
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Eindruck, dass die Soldaten das nur zu ihrer Unterhaltung tun.
    Würgend, mit einem abscheulichen Geschmack im Mund weichst du zurück. Du taumelst rücklings und siehst aus dem Augenwinkel, wie das Fuhrwerk den Hügel hinaufrollt, nur sind die hoffnungslosen Gefangenen nun alle glatzköpfig.
    Der Anflug von Übelkeit droht dich zu überwältigen, und aus der Ferne hörst du Gebrüll.
    »Schießen Sie!«
    Du schaust dich um, siehst jedoch nur eine vor Übelkeit verschwommene Welt ...
    »Soldat! Erschießen Sie sofort diese flüchtende Gefangene!«
    Immer noch wankst du. Als du wieder deutlich sehen kannst, erkennst du ein kahles, splitternacktes kleines Mädchen, das von der Scheune wegrennt.
    »LEGEN SIE IHRE WAFFE AN UND FEUERN SIE!«, brüllt mit hochrotem Gesicht ein Leutnant, der sich dir nähert. Du hebst die Waffe an und nimmst das Ziel ins Visier. Dein Finger berührt den Abzug ...
    »Worauf warten Sie?«
    »Aber ... aber Sir«, stammelst du. »Das ist doch bloß ein ... ein kleines Mädchen ...«
    Der Lauf einer Pistole berührt deine Schläfe. »Soldat, wenn Sie diese flüchtende Gefangene nicht erschießen, töte ich Sie hier und jetzt und werfe Ihr Haar in den nächsten Schwung!«
    Ich mache es nicht, denkst du, trotzdem holst du tief Luft, bläst den halben Atem aus und drückst den Abzug. Der Hahn schnappt zu, schlägt auf das Messingzündhütchen, und nach dem Bruchteil einer Sekunde versucht die Muskete, dir aus der Hand zu springen. Schwarzpulver jagt das Glattrohr-Miniégeschoss Kaliber 69 mit einem ohrenbetäubenden Knall und einer Rauchwolke aus der Mündung.
    Du hast die Augen beim Drücken des Abzugs geschlossen, trotzdem hörst du einen leisen, dumpfen Schlag und den schrillen Aufschrei eines Kindes.
    Der Leutnant fächelt mit seinem Hut Rauch beiseite. »Guter Schuss, Soldat! Sie haben das Kind genau in den Rücken getroffen, obwohl es sich gerade umgedreht hat.«
    Deine Augen brennen wie Feuer. Du siehst den kleinen, nackt im Gras zuckenden Körper. Ein paar Sekunden lang stößt das Mädchen schluchzend hervor: »Mama! Papa!« Dann ...
    Stille.
    »Wie heißen Sie, Soldat?«
    Verbissen presst du die Antwort hervor. »Collier, Justin. Drittes Korps, Sir.«
    Wirken die Augen des Leutnants gelbstichig? »Wo haben Sie gelernt, so zu schießen?«
    Deine Kehle fühlt sich wie zugeschnürt an, und in deinem Hinterkopf flüstert eine Stimme: Du hast ein Kind umgebracht, du hast ein Kind umgebracht ... Die Worte kommen aus deinem Mund, ohne dass du es wahrnimmst. »In Fredericksburg und bei beiden Schlachten am Bull Run, Sir.« Aber du wünschst dir nur, du könntest nachladen und auf der Stelle dich selbst erschießen.
    »Verdammt guter Schuss, Soldat.« Ein Klaps auf den Rücken. »Lassen Sie die Leiche von ein paar Negern wegschaffen und gehen Sie zurück auf Ihren Posten.«
    Du starrst auf das Feld und antwortest tonlos: »Ja ...«
    II
    »... Sir ...«
    Collier lag zitternd und starr auf den Laken, die Augen vor Furcht weit aufgerissen. Kalter Schweiß schien ihn zu bedecken, so zähflüssig wie Honig. Zuerst war er nur verwirrt, dann krampfte sich sein Magen zusammen, als Bilder aus dem Traum in seinem Kopf auftauchten. Heilige Scheiße, das war der abscheulichste Albtraum meines Lebens ...
    Er versuchte, zu schlucken, was ihm jedoch nicht gelang. Dann stellte er fest, dass er sich auch nicht bewegen konnte. Der Traum presste sich auf ihn wie eine eingestürzte Decke. Die Bilder in seinem Gehirn wurden klarer: eine spindeldürre, nackte Frau mit kreidebleicher Haut, die weinend zitterte, während eine Schere – wie jene, die er in der Vitrine gesehen hatte – ihr sämtliche Haare abschnitt. Wie die Nazis, dachte er.
    Hatten die Konföderierten solche Dinge wirklich getan? Hatte er das irgendwo gelesen?
    Oder hatte sich sein Verstand diese Grausamkeiten nur ausgedacht?
    Ich muss echt ziemlich neben der Spur sein, um einen solchen Traum zu haben ...
    Collier konnte sich immer noch nicht rühren; er fühlte sich halb erstickt. Seine Brust hob und senkte sich, als er die Luft einsog ...
    Verfluchte Scheiße!
    ... und plötzlich eine Gestalt bemerkte, die neben dem Bett stand.
    Colliers Herzschlag raste. Sein Gehirn forderte ihn auf, sich aus dem Bett zu rollen und die Lampe einzuschalten, aber ...
    Die traumatisierende Lähmung umklammerte ihn nur noch fester.
    Wer sind Sie?, versuchte er zu brüllen, doch auch seine Kehle war wie gelähmt. Eine unscharfe Dunkelheit erfüllte den Raum wie Rauch.

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