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Haus der bösen Lust (German Edition)

Haus der bösen Lust (German Edition)

Titel: Haus der bösen Lust (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Edward Lee
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Pferd sanft die Sporen gab. Er setzte den Weg die Trasse entlang fort und zählte weiter.
    Die Zahlen ergaben immer noch keinen Sinn. Er hatte schon im gesamten Land Eisenbahnstrecken gebaut und wusste sehr genau, wie viel eine bestimmte Anzahl von Männern in einem bestimmten Zeitraum bewältigen konnte. Poltrock wusste, dass demnächst die Kennzeichnung für den Beginn der Woche auftauchen musste ...
    Das Pferd scheute; Poltrock schaute angesichts des plötzlichen Zitterns auf. Ein fernes, anschwellendes Brüllen; die Schienen begannen zu vibrieren, und schließlich setzte das Geräusch einer Dampfpfeife ein.
    Poltrock erkannte, dass sich ein Zug näherte. Er lenkte das Pferd von den Gleisen zu den Bäumen. »Ruhig, ruhig.« Während er das Tier beschwichtigte, dachte er: Der Frachtzug befindet sich noch am Ende der Strecke. Was für ein Zug kommt da?
    Die Erde erbebte; Poltrock hatte alle Hände voll zu tun, das Pferd ruhig zu halten. Bald raste ein Zug mit ausgesprochen hoher Geschwindigkeit vorbei. Die Lokomotive schob die Waggons, statt sie zu ziehen. Poltrock blieben nur wenige Sekunden, um einen Kohlenwagen, fünf Passagierwaggons und einen Leitwagen vorne zu zählen. Gleich darauf war der Zug verschwunden, ließ nur eine Staubwolke und Erschütterungen hinter sich zurück. Nach etwa einer Minute ertönte abermals die Pfeife, als der Zug die Fahrt verlangsamte, um an der Baustelle anzuhalten.
    Was, zum Henker, ist da los? Poltrock konnte sich nicht vorstellen, weshalb Gast einen weiteren Zug herbringen sollte, obwohl ihr eigener Versorgungszug noch an der Baustelle parkte.
    Zu gegebener Zeit würde er es wohl erfahren. Er ließ dem Pferd noch einige Minuten Zeit, sich zu beruhigen, dann zählte er die letzten Schienen der Arbeitswoche zu Ende.
    Die Sonne war gerade hinter dem Berg versunken, als Poltrock den Pflock mit der roten Flagge erreichte, den er vor genau einer Woche in die Erde gerammt hatte. Er musste sich auf die Zahlen konzentrieren, deshalb stieg er ab und band sein Pferd fest. Nachdem er eine mitgebrachte Öllampe angezündet hatte, setzte er sich auf das erste Schienenstück, das vergangenen Freitag verlegt worden war.
    Grundgütiger, dachte er, als er in sein Notizbuch starrte.
    Es war einfache Mathematik, und mittlerweile war er die Zahlen der vergangenen Woche mindestens fünfmal durchgegangen. Jedes Schienenstück maß exakt 683 Zentimeter. Unregelmäßigkeiten konnte es nicht geben.
    Die Gestalt, die über ihm aufragte, bemerkte er nicht.
    »Arbeit in Lampenlicht«, sagte eine Stimme. »Ich muss schon sagen, das ist ein Zeichen für Fleiß.«
    Poltrocks Herz setzte einen Schlag aus. Erschrocken schaute er auf.
    Es war Harwood Gast, der von seinem großen Schimmel auf ihn herabblickte.
    »Der Rest der Männer macht sich zum Feiern fertig, Sie hingegen, Mr. Poltrock, brüten noch nach Sonnenuntergang über Zahlen. Ich vergesse nicht, wer für mich die beste Leistung erbringt.«
    »Danke, Mr. Gast«, stieß Poltrock hervor.
    »Ich spüre heute Abend große Dinge, wunderbare Dinge.« Unmittelbar hinter Gasts Kopf ging der noch tief stehende Mond auf und zeichnete einen scharfen Kontrast in die Züge des Mannes. Das Pferd stand still wie eine Statue. »Können Sie mir schon die Wochenleistung sagen, oder habe ich Sie gerade unterbrochen?«
    Poltrock stand auf und klopfte sich den Staub ab. »Nein, Sir, tatsächlich kommen Sie gerade zur rechten Zeit. Ich bin soeben mit der Ermittlung der Wochenleistung fertig geworden, und ...«
    »Und?«
    Poltrock seufzte. »Ich weiß nicht recht, wie ich das sagen soll, Mr. Gast, aber sofern die Schienen, die Sie zuletzt gekauft haben, nicht kürzer sind, als sie es sein sollten, haben wir diese Woche 3,1 Meilen verlegt.«
    Eine Pause entstand. Gasts hoch aufragende Silhouette rührte sich nicht. »Das ist außerordentlich.«
    Entweder außerordentlich oder schlichtweg unmöglich, dachte Poltrock bei sich. »Die vergangenen zwei Jahre hat die Mannschaft pro Woche mindestens eine Viertelmeile zusätzlich verlegt, in manchen Wochen sogar eher eine halbe Meile oder sechs Zehntelmeilen. Letzte Woche lagen wir eine volle Meile über der Quote, und diese Woche ...« Poltrock starrte auf die Zahlen in seinem Buch. »1,2 Meilen zusätzlich. In nur einer Woche.«
    Gasts Stimme klang wie ein tiefes Dröhnen. »Was bedeutet das, Mr. Poltrock?«
    »Mehrere Dinge, Sir. Zum einen bedeutet es, dass jeder Mann die Arbeit von zwei Männern verrichtet. Zum anderen ergibt sich

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