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Haus der Erinnerungen

Haus der Erinnerungen

Titel: Haus der Erinnerungen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: wood
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hinüber - »macht es dir wirklich Spaß, Leichen zu sezieren?«
    »Du bist schrecklich, John, und das gleich an meinem ersten Abend zu Hause.«
    »Na schön, dann sprechen wir von angenehmeren Dingen. Durftest du schon mal junge Damen untersuchen?« Victor schüttelte lächelnd den Kopf. »Du bist wirklich unverbes-serlich, John. Man wird doch nicht aus Lust an Leichen und nackten jungen Frauen Arzt.«

    »Aber nein, natürlich nicht!« John wedelte theatralisch mit einem Arm. »Dich treibt die Menschenliebe, das Mitgefühl mit allen, die leiden, der brennende Wunsch, allem Schmerz und Elend ein Ende zu machen.«
    »So etwa«, murmelte Victor.
    Einen Moment lang versiegte das Gespräch, und die beiden jungen Männer blickten schweigend in die Flammen im Kamin. Jetzt erst fiel mir auf, wie sich das Zimmer verändert hatte, Eine Tapete mit Blumenmuster bedeckte die Wände, und auf dem Boden lag ein dicker Perserteppich in satten Blau- und Rottönen. Die Glasvitrine stand neu und blitzblank in der Ecke, und dem Roßhaarsofa fehlte Großmutters Schonbezug. Auf dem Kaminsims stand eine Tischuhr auf geschwungenen Beinen, die von zwei Staffordshire-Hunden flankiert war.
    Gaslampen an den Wänden beleuchteten das Zimmer und mehrere oval gerahmte Porträts mir unbekannter Personen. Ich war so fasziniert von der Szene, daß ich sie auf keinen Fall zerstören wollte. Aus diesem Grund machte ich auch nicht die kleinste Bewegung und wagte kaum zu atmen. Ich hörte, wie hinter mir die Tür geöffnet wurde und eine dritte Person ins Zimmer trat. Ich spürte den kalten Luftzug, der hereinwehte, und sah, wie Victor sich umdrehte und mit strahlendem Lächeln beide Arme ausbreitete, als Harriet auf ihn zuging.
    »Victor, ich freu mich so, daß du gekommen bist.« Bruder und Schwester umarmten und küßten einander. Dann hielt er sie auf Armeslänge von sich ab und betrachtete sie von oben bis unten. »Du bist in dem einen Jahr ganz hübsch gewachsen«, sagte er.
    Richtig, das war nicht mehr das eigensinnige kleine Mädchen, das noch vor wenigen Minuten oben im Schlafzimmer geweint und geklagt hatte. Harriet war eine junge Dame geworden. Sie trug ein langes Seidenkleid mit hohem Kragen und engem Mieder. Die langen Locken trug sie hochgekämmt und mit Nadeln festgesteckt.
    Sie sah sehr elegant aus und wirkte im Feuerschein, der ihre Wangen rosig färbte, beinahe hübsch.
    »Ich bin ja auch schon vierzehn«, erklärte sie stolz. »In dem einen Jahr habe ich mich sehr verändert.«
    »Aber sie flennt immer noch soviel wie früher.«
    »John!«
    Victor unterdrückte ein Lächeln. »Ist das wahr, Harriet, weinst du viel?«
    »Du hättest sie an dem Abend erleben sollen, als du abgereist bist, Victor! Das war wirklich ein Drama. Sie wollte sich in den Kleiderschrank einsperren und nie wieder etwas essen.« Jetzt ließ Victor das Lächeln heraus. »Meinetwegen wolltest du das tun?«
    Ich sah, wie Harriet errötete. »Es hat mich so gekränkt, daß du fortgegangen bist, Victor. Aber jetzt macht es mir nichts mehr aus. Jetzt bin ich stolz darauf, daß du Arzt wirst.«
    »Wenn nur auch Vater stolz darauf wäre«, murmelte John unterdrückt.
    »Und ich bin froh, daß du das Stipendium bekommen hast. Weil du ja wirklich der klügste Mann von ganz Warrington bist, und ich -«
    »Warrington ist ein kleines Städtchen«, warf John ein und griff zur Karaffe. »Noch ein Glas, Victor?« Victor schüttelte den Kopf.
    »Kann ich was haben?« fragte Harriet herausfordernd. »Damit du dir deinen hübschen Teint verdirbst? Du weißt, was Vater tun würde, wenn er dich dabei ertappte, daß du Brandy trinkst.«
    »Brandy!« sagte Victor. »Du bist ja wirklich erwachsen geworden, hm, Harriet?«
    »Mehr als du ahnst. Ich war auf den Tennisplätzen.«
    »Harriet!« John warf ihr einen mißbilligenden Blick zu. »Das hat Vater dir doch verboten.«
    »Ich spiele ja nicht. Ich sehe nur zu. Das hat er mir nicht verboten.“
    »Aber er wird sicher böse werden, wenn er davon hört.«
    »Und wer soll es ihm erzählen?«
    »Tennis?« fragte Victor mit hochgezogenen Brauen. »Hier in Warrington?«

    »Ja, stell dir vor. Meine Freundin Megan O'Hanrahan spielt sogar. Und sie raucht Zigaretten.«
    »Diese Megan ist ein ganz lockeres Ding«, bemerkte John finster. »Du solltest dich von ihr lieber fernhalten.« Doch Victor sagte: »In London findet man nichts dabei, wenn eine junge Dame Tennis spielt.«
    »Aber wir sind hier nicht in London.«
    »Ach, John, du bist so

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