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Haus der Erinnerungen

Haus der Erinnerungen

Titel: Haus der Erinnerungen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: wood
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wieder gut«, sagte ich schwach. »Es war die Hetze. Weil alles so schnell gehen mußte und -«
    »Unsinn!« Großmutter schlug mir auf den Arm. »Du hast die Grippe, das seh ich doch. Trink jetzt deinen Tee, komm.«
    »Geht es dir wirklich wieder gut, Andrea?« fragte May besorgt. »Wir können den Arzt holen -«

    »Nein, nein. Es ist nichts - wirklich nicht. Es war nur die Aufregung. Gott, ist das heiß hier.« Ich wollte die Decken wegziehen, aber Großmutter ließ es nicht zu. »Du hast Fieber«, fuhr sie mich an.
    May legte mir ihre Hand auf Stirn und Wangen und entgegnete: »Nein, Mutter, das stimmt nicht. Ganz im Gegenteil, sie ist sehr kalt. Weißt du, was das zu bedeuten hatte, William?« William zuckte die Achseln. »Nach einer Ohnmacht ist das oft so, glaube ich. Also die Grippe hat sie sicher nicht. Es muß was anderes sein.«
    »Doch, sie hat die Grippe. Sie hat sich erkältet«, behauptete Großmutter unerschütterlich. »Und sie geht mir heute nicht aus dem Haus.«
    Ich kuschelte mich tiefer in den Sessel und starrte trübe in meine leere Teetasse.
    Großmutter hatte keine Ahnung, wie wahr ihre Worte waren. Ich würde nicht aus dem Haus gehen, weil dieses Haus es mir nicht gestattete. Ich war seine Gefangene. Die Macht, die hier wohnte, brauchte mich noch. Drei Besuche bei meinem Großvater waren mir erlaubt worden, doch heute abend durfte ich nicht gehen. Vielleicht morgen...
    Diesen letzten Gedanken hatte ich offenbar laut ausgesprochen, denn jetzt sagte William: »Wir werden sehen, Kind. Es kommt ganz darauf an, ob es dir besser geht. Im Moment muß ich jedenfalls Mama recht geben. Du gehörst ins Bett. May, ich glaube, wir fahren jetzt lieber, sonst ist die Besuchszeit vorbei.«
    »Aber wenn es etwas Ernstes ist, Will! Sie haben hier kein Telefon.«
    »Dann kommen wir eben nach dem Besuch bei Vater noch einmal vorbei. Wenn Andrea einen Arzt braucht, wird sie es uns ja sagen, nicht wahr, Kind ?« Ich nickte schwach.
    Nachdem sie gegangen waren, zog Großmutter die Decke vom Sofa und legte sie mir um die Schultern. Mir war so heiß, daß ich hätte schreien können, und wenn mich auch Großmutters Besorgnis um mich rührte, so wäre es mir doch am liebsten gewesen, sie hätte mich endlich allein gelassen, damit ich in die Vergangenheit hätte zurückkehren können.
    Wenn es für mich nur ein Mittel gegeben hätte, das Erscheinen dieser Menschen, die mich so faszinierten, heraufzubeschwören. Aber diese Möglichkeit gab es nicht.
    Der Abend zog sich fast unerträglich in die Länge. Großmutter strickte zufrieden, warf mir ab und zu einen Blick zu, stand mehrmals auf, um meine Stirn zu fühlen. Als endlich William und May zurückkehrten, nutzte ich die Gelegenheit, um mich von den Decken zu befreien.
    Großmutter schenkte Tee ein, während sie von ihrem Besuch bei Großvater berichteten.
    »Er war richtig lebhaft heute abend. Wir haben uns gut unterhalten mit ihm, auch wenn wir kaum was verstanden haben...« Ich stand auf und sammelte die Wäschestücke ein, die ich am Morgen gewaschen und auf Großmutters Rat hin in der Nähe des Gasfeuers aufgehängt hatte. Sie waren mittlerweile alle trocken, und ich wollte sie nach oben bringen.
    »Warte, warte!« rief Großmutter. »Wo willst du denn hin ?«
    »Meine Sachen sind trocken. Ich will sie nur hinaufbringen -«
    »Kommt nicht in Frage. William kann sie dir rauftragen. Du bleibst hier unten, wo's warm ist.«
    »Aber Großmutter -«
    »Andrea«, sagte May behutsam, »vergiß nicht, daß du vorhin ohnmächtig geworden bist.«
    »Aber es geht mir doch wieder gut.« Ich drückte Jeans und T-Shirts schützend an mich.
    »Laßt sie doch selbst hinaufgehen, wenn sie sich wieder wohl fühlt«, meinte William.
    »So schlimm ist das doch nicht.«
    »Na ja...« meinte Großmutter widerstrebend. Ehe sie es sich anders überlegen konnte, eilte ich zur Tür. Bevor ich sie öffnete, hörte ich Großmutter zu William sagen: »Also — hat der Arzt etwas gesagt, wann Vater nach Hause kommen kann?«

    William beugte sich vor, um ihr zu antworten. Er öffnete den Mund, aber ich hörte keinen Laut. Ich sah zur Uhr. Sie tickte nicht mehr.
    Gespannt blieb ich an der Tür stehen und wartete auf das Erscheinen der anderen. Ich wartete darauf, daß Großmutters billiger Schonbezug vom Sofa verschwinden und im Kamin ein Holzfeuer aufflammen würde. Aber nichts veränderte sich. Wo waren sie ?
    Großmutter, William und May saßen am Tisch bei ihrem Tee, ohne zu sprechen, ohne

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