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Haus der Erinnerungen

Haus der Erinnerungen

Titel: Haus der Erinnerungen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: wood
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Nicht jetzt, da sein Bild noch so frisch vor meinen Augen war, als stünde er leibhaftig vor mir. Mein Herz setzte einen Schlag aus. Victor Townsend stand tatsächlich vor mir.
    Die Hände auf dem Rücken, stand er breitbeinig am Kamin und wippte leicht hin und her, während er mit der Person sprach, die in dem Sessel neben mir saß.
    »Ich mußte es riskieren, John«, sagte er. »Ich mußte noch einmal nach Hause kommen, ehe ich nach Edinburgh gehe. In fünf Monaten bekomme ich mein Diplom, dann reise ich von London direkt nach Schottland. Wer weiß, wann wir uns das nächstemal sehen werden.«
    »Es kann dir passieren, daß Vater hereinkommt und dich hinauswirft. «
    »Ich weiß. Aber er kommt ja selten vor acht aus dem Pub nach Hause. Da bleibt mir wenigstens ein kleines bißchen Zeit mit euch anderen.«
    »Mutter will dich auch nicht sehen.«
    »Ja, das ist mir klar.« Victor starrte mit düsterer Miene zu Boden. »Sie möchte mich schon sehen, aber sie hat Angst vor Vater.«
    »Wir haben alle Angst vor ihm, Victor, nur du nicht. Glaubst du vielleicht, ich wäre nicht lieber auch nach London gegangen und ein feiner Herr geworden wie du ? Du sprichst jetzt sogar wie ein echter Akademiker. Kein Mensch würde merken, daß du aus Lancashire kommst. Ach, Victor, du warst der einzige, der den Mut hatte, sich gegen ihn zu stellen. Und dafür bewundere ich dich.« Ich beobachtete Johns Profil. Ein Schatten von Traurigkeit trübte seine Augen, während er seinen Bruder wehmütig ansah. »Ja, ich bewundere dich. Mein Posten im Werk macht mir keine Freude. Aber ich habe keine andere Wahl. Vater würde mich vor die Tür setzen, wenn ich mich ihm widersetzen würde, und ich wüßte nicht, was ich sonst tun sollte. Du hingegen, du Glückspilz, du hast dieses Stipendium bekommen.«
    Victor hob den Kopf und lachte. Seine Augen blitzten, und es machte mich glücklich, sein schönes Lächeln zu sehen. »Aber John, du bist doch glücklich und zufrieden mit deinen acht Pfund in der Woche! Außerdem wirst du Vater beerben und ich nicht. Ich gehöre nicht mehr zur Familie.«
    »Aber das kannst du doch anfechten! In England -« Victor schüttelte den Kopf. »Das würde ich niemals tun, und das weißt du auch. Das Haus wird eines Tages dir gehören, John.
    Ich will es gar nicht. Das einzige, was ich brauche, ist mein Mikroskop und eine Schar engagierter Studenten. Beides werde ich in Schottland finden.«

    Die Tür flog auf, und ein kalter Luftzug wehte Harriet herein. Dicht hinter ihr folgte Jennifer. Gespannt setzte ich mich auf.
    Die beiden Mädchen eilten herein, schlössen die Tür hinter sich, und dann lief Harriet zu Victor und schlang ihm die Arme um den Hals. »John hat gesagt, daß du kommst!« rief sie außer Atem. »Ach, danke, daß du gekommen bist, Victor. Danke, daß du so mutig warst.«
    Er nahm sie lachend in die Arme, ließ sich von ihr küssen und hörte amüsiert zu, während sie ihn mit Lob überschüttete. Seine Augen blitzten erheitert, kleine Lachfältchen bildeten sich an ihren Außenwinkeln, die Furche zwischen den Brauen glättete sich und war fast verschwunden.
    Dann sah er Jennifer. Er hob den Kopf und blickte zur Freundin seiner Schwester hinüber, und sein Gesicht erstarrte. Das erheiterte Blitzen in seinen Augen erlosch, ein anderes, weit intensiveres Licht glomm in ihnen auf. Er starrte Jennifer an wie gebannt, ohne auf Harriets Schwatzen und die gelegentlichen Erwiderungen Johns zu achten. Und Jennifer, die gerade dabei war, das Band ihres Huts aufzuknüpfen, hielt mitten in der Bewegung inne, als sie Victor sah. Schweigend blickten sie einander in die Augen.
    Nur ich bemerkte es. Harriet und John waren so vertieft in ihr Gespräch über das neue Automobil der O'Hanrahans, das erste in ganz Warrington, daß sie überhaupt nicht darauf achteten, was vorging. Ich als einzige erlebte den wunderbaren Augenblick im Jahr 1890, als Victor und Jennifer sich ineinander verliebten und einem Schicksal in die Hände fielen, aus dem sie sich nicht befreien konnten.
    War es Liebe auf den ersten Blick? So jedenfalls empfand ich es, während ich beobachtete, wie die beiden einander unverwandt anblickten. Ich fühlte den plötzlichen Aufruhr der Gefühle in Victors Innerem, und das unerwartete Verlangen, das ihn erfaßte, erfaßte auch mich. Alles, was Victor bei dieser ersten Begegnung mit Jennifer fühlte, teilte sich mir mit. Und Jennifer? Als ich ihr in das fassungslose Gesicht sah, entdeckte ich auch in ihr eine

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